Jüdische Ärzte und Ärztinnen

Von Dr. Horst Sassin (Bearbeitung von Andrea Halbritter, Côté Langues)

Die Stationen 1 bis 7 können auch zu Fuß gelaufen werden. Mit Station 8 sollte man das Fahrrad oder den Bus nehmen (Linie 692 oder 693 von Rathaus nach Klinikum).


Station 1: Dr. Walter und Dr. Ida Marcus

Kartenausschnitt Werwolf 20

Werwolf 20 – Zur Karte

Der jüdische Kinderarzt Dr. Walter Marcus wurde 1894 in Essen geboren. Er war mit der Kinderärztin Dr. Ida Marcus verheiratet. Beide zogen 1923 von Düsseldorf nach Solingen. Ida wurde 1894 in England geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Prag. Heute ist Prag die Hauptstadt der Tschechischen Republik.

Ab 1924 hatte das Ehepaar Marcus eine Praxis am Werwolf 20 in Solingen. Dort lebte das Ehepaar auch. Es bekam 1925 und 1929 zwei Kinder: Eva und Hans-Werner.

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler. Hitler gehörte der Partei NSDAP an. NSDAP war die Abkürzung für Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Die NSDAP war eine sehr antisemitische Partei. Das heißt: Sie war sehr judenfeindlich. Die Menschen in der NSDAP nannte man Nationalsozialisten.

Im April 1933 riefen die Nationalsozialisten dazu auf, in jüdischen Geschäften nicht mehr einzukaufen. Die Nationalsozialisten wollten auch nicht, dass man sich von jüdischen Ärzten oder Ärztinnen behandeln lässt.

Foto von Ida und Walter Marcus. Quelle: Karen I. Marcus
Ida und Walter Marcus. Quelle: Karen I. Marcus

Walter Marcus war in Solingen sehr beliebt. Eltern kamen auch weiter mit ihren Kindern in seine Praxis. Auch Pfarrer Julius Rößle ließ seine Kinder weiter von Walter behandeln. Deswegen beschimpfte „Der Stürmer“ den Pfarrer in einem Artikel. „Der Stürmer“ war während der Zeit des Nationalsozialismus eine Zeitung. Diese Zeitung war sehr judenfeindlich.

1936 nahmen die Nationalsozialisten Walter die Kassenarztzulassung weg. Das heißt: Die Familien, die mit ihren Kindern zu Walter kamen, mussten für die Behandlung jetzt selbst zahlen. Sie bekamen das Geld dafür nicht mehr von der Kasse erstattet. 1938 verlor Walter auch seine Approbation. Das heißt: Er durfte nicht mehr als Arzt arbeiten.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam es zur Reichspogromnacht. Synagogen wurden angezündet, jüdische Geschäfte geplündert. Juden wurden misshandelt, verhaftet und getötet. Dem Haus von Walter passierte nichts. Walter hatte nämlich bereits einen Käufer für sein Haus. Der Käufer war kein Jude und passte auf sein Haus auf. Dennoch verhafteten die Nationalsozialisten Walter am nächsten Tag und brachten ihn in das Konzentrationslager Dachau bei München.

Konzentrationslager gab es in Deutschland und in Ländern, die Deutschland besiegt hatte. Die Menschen mussten in Konzentrationslagern schwer arbeiten. Die Nationalsozialisten machten mit den Menschen auch medizinische Experimente. Viele Menschen starben in den Konzentrationslagern. Manche verhungerten in den Lagern. Andere bekamen eine schwere Krankheit und kein Arzt kümmerte sich um sie. Die Nationalsozialisten haben Häftlinge in den Lagern auch erschossen, erhängt oder anders umgebracht.

Walter versprach, Deutschland zu verlassen. Deswegen entließen ihn die Nationalsozialisten im Dezember 1938 aus dem Konzentrationslager Dachau. Weil Ida auch die britische Staatsangehörigkeit hatte, bekam sie ein Besuchsvisum für Palästina. Walter und Ida konnten daher nach Palästina reisen. Von Palästina aus gelangten sie zuerst nach England und danach in die USA.

Ab Mitte der 1940er-Jahre arbeiteten Ida und Walter beide an einem Krankenhaus in den USA. Später gründeten sie ein eigenes Labor und Walter hatte auch wieder eine eigene Praxis.

Ida starb 1958. Walter heiratete nach ihrem Tod ein zweites Mal. Er starb 1973.