Jüdische Kaufleute in Solingen
Als Ergänzung zur Ausstellung über die Geschichte der jüdischen Gemeinde Solingens hat das Stadtarchiv weitere Banner über die jüdischen Kaufleute in Solingen erstellt, die einen Überblick über die Zeitspanne von 1900 bis 1990 geben. Die Ausstellung ist ab Ende April 2023 in den Schaufenstern des ehemaligen Kaufhof-Gebäudes an der Hauptstraße/Ecke Klosterwall zu sehen.
1900 – Gebr. Alsberg
„Eine 15 m lange Glaskuppel verbreitet Tageshelle in beinahe jeden Winkel der ausgedehnten Räumlichkeiten. Alle Etagen sind durch einen Aufzug mit einander verbunden; auf jeder Etage befinden sich zwei Hydranten, so daß vor Feuergefahr nicht viel zu fürchten ist. Das ganze Gebäude wird Abends durch elektrisches Licht erleuchtet, das von einem 30pferdigen Motor geliefert wird.“
– Bericht der Solinger Zeitung über den Neubau des Kaufhauses Gebr. Alsberg vom 6. März 1900„Ein Großfeuer, wie es Solingen wohl selten gesehen, äscherte gestern Abend den kürzlich eröffneten Riesen-Neubau der Firma Gebr. Alsberg, Solingen, Kaiserstr. total ein.“
– Bericht des Solinger Kreis-Intelligenzblattes vom 2. Juni 1900 über den Brand bei Alsberg, der durch einen Kurzschluss ausgelöst wurde. Nathan Isaac, seit 1886 Inhaber der Solinger Filiale, eröffnete zehn Monate später am 31. März 1901 sein Geschäft in einem weiteren Neubau. Es bestand bis 1936.
1915 – Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg
„Im Kampfe für das Vaterland hat auch der Wehrmann Kaufmann Adolf Weißfeldt von hier sein Leben gelassen. Mit seinem Bruder (beide Inhaber der Firma Gebr. W.) seit Beginn des Krieges im Felde stehend, erlitt er kürzlich in den schweren Kämpfen im Argonnerwalde eine Verwundung, der er gestern im Lazarett zu Erlangen erlegen ist. Sein Bruder Alex, der zufällig dienstlich hier weilte, hat die Überführung der Leiche nach Solingen ermöglicht. Am Sonntag nachmittag wird der tapfere Krieger auf dem hiesigen israelitischen Friedhofe beerdigt.“
– Meldung der Solinger Zeitung vom 15. Januar 1915 zum Tod von Adolf Weißfeldt. Insgesamt fielen im Ersten Weltkrieg acht Mitglieder der jüdischen Gemeinde Solingens, darunter zwei Söhne von Simon Gaertner.
1928 – Kaufhaus Tietz
„Unter dem Jubel der Jugend stiegen pünktlich um ½ 4 Uhr die 700 Brieftauben auf. Dann öffneten sich die Pforten in die Geschäftsräume. Im Augenblick waren diese überfüllt. Man mußte zeitweise die Tore wieder schließen, um etwas Luft zu schaffen. Eine besondere Anziehungskraft schien auf den größten Teil der Besucher der Dachgarten auszuüben. Alles war bestrebt, diesen Punkt schnell zu erreichen, um sich Solingen einmal von einem seiner höchsten Punkte anzusehen. Während der geräumige Bau eine Ueberfülle von Menschen aufwies, konnte man vom Dach aus beobachten, daß es noch immer Tausende waren, die vergeblich Einlaß begehrten. Das für Solingen ungewohnte Schauspiel des Massenverkehrs am Mühlenplätzchen hielt bis in die Abendstunden an.“
– Bericht des Solinger Tageblatts zur Neueröffnung des Kaufhauses Tietz am 13. März 1928
1933 – Westdeutsche Kaufhof AG
„Das Gebäude wurde von S.A.-Leute bewacht. […] An dem Fahnenmast des Warenhauses Tietz wurde außerdem heute morgen die Hakenkreuzfahne gehißt.“
– Bericht des Solinger Tageblatts zur Zwangsschließung jüdischer Kaufhäuser im Gau Düsseldorf am 10. März 1933„Der angekündigte Boykott der jüdischen Geschäfte in Solingen hat heute vormittag in vorgesehener Weise eingesetzt. […] Gleichzeitig wurden in den Mittagsstunden die Schaufenster dieser Geschäfte mit antijüdischen Propagandaplakaten und Aufrufen versehen.“
– Bericht des Solinger Tageblatts über den reichsweiten „Judenboykott“ vom 1. April 1933„Im Interesse des Unternehmens und der Gesamtheit seiner Angestellten- und Arbeiterschaft haben die Vorstandsmitglieder der Leonhard Tietz-A.-G. ihre Ämter zur Verfügung gestellt.“
– Mitteilung des Solinger Tageblatts vom 6. Apil 1933 zur Verdrängung der jüdischen Vorstandsmitglieder aus dem Unternehmen Tietz
1936 – Alex Levi & Co
„Den letzten Rest unserer Ladeneinrichtung u. zwar 1 Glaswarenschrank, 3 Mtr. lang, 1 Regal, 3.40 Meter lang, 1 Glastheke, 3.25 Meter lang, Papierpresse, Lampen, Schaufensterlampen, Spiegel, Dekor.-Material, Büsten, Ständer, Glasplatten, Eisentüren sowie Gasöfen, Küchenmöbel verkaufen wir spottbillig zu jedem für uns annehmbaren Preis. Levi & Co. Solingen, Auf der Börse 29/31“
– Anzeige im Solinger Tageblatt vom 16. Mai 1936. Alfred Pieck, der Enkel des Geschäftsgründers Alex Levi, war im November 1935 aufgrund von Boykottmaßnahmen zahlungsunfähig geworden und gezwungen das Geschäft aufzugeben. Er emigrierte nach Palästina. Die Mehrzahl der jüdischen Kaufleute aus Solingen wanderte bereits vor 1938 aus.
1938 – Möbel Taback
„Mitten in der Nacht wurden wir von einem fürchterlichen Lärm aus dem Tiefschlaf gerissen. SS-Männer in ihren Uniformen brachen die Tür zu unserer Wohnung auf, begannen herumzuschreien und befahlen, dass wir uns anziehen sollten. [… Sie] schubsten uns raus auf die Straße, bevor sie anfingen meinen Vater mit aller Gewalt zusammenzuschlagen.“
„[…] Mein Vater lag blutüberströmt auf dem Boden und bewegte sich nicht. Betty richtete ihn auf, während sie mich immer noch im Arm hielt, als zwei Polizeibeamte plötzlich aus dem Nichts auftauchten. Sie wollten ihn ins Polizeigefängnis bringen und sagten mir, ich solle mit Betty gehen, aber ich weigerte mich zu gehen und so nahmen sie mich auch mit.“
– Bella T. Altura beschreibt in ihren Memoiren, wie sie als Siebenjährige den Überfall auf ihren Vater, den Möbelhändler Sally Tabak, in der Pogromnacht am 10. November 1938 erlebte. Die Familie flüchtetet 1939 nach Belgien, später nach Frankreich und in die Schweiz. Erst 1947 konnte sie in die USA auswandern.
1942 – Giesenow
„Bald enden die Tage unseres hiesigen Aufenthalts. Wir haben viel Arbeit. Macht Euch keine großen Sorgen unseretwegen, der alte Gott lebt noch. Antwortet nicht mehr, denn die Post würde nicht mehr ankommen. Morgen folgt ein weiterer ausführlicher Brief. Für heute euch dreien viele Grüße u. Küsse. Vater.“
„Liebe Else, sei vernünftig und denke an deine labilen Nerven, es hat ja keinen Zweck sich zu sehr aufzuregen. Das Unvermeidliche mit Würde tragen, ist das Einzige, was wir noch können. […] Bis morgen herzlichste Grüße und Küsse Eure Mutter & Oma“
– Georg und Jenny Giesenow schrieben am 15. und 18. Juli 1942 kurz vor ihrer Deportation an die Familie ihrer Tochter Else. Zusammen mit 14 anderen Solinger Jüdinnen und Juden wurden sie am 20. Juli von Solingen aus in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Georg Giesenow kam dort am 19. April 1943, seine Frau Jenny am 13. Mai 1943 ums Leben.
1990 – Woche der Begegnung
„Tiefe Gefühle sind es, die mich bewegen. Ich bin mir bewußt, daß mancher von ihnen vielleicht mit Vorbehalten gekommen ist. Ich bin mir auch unsicher, wie Solingen, jene Stadt, die für sie und ihre Familien einmal Heimat war, auf sie wirken wird.“
– Oberbürgermeister Gerd Kaimer begrüßte am 8. Oktober 1990 Jeanny Strauß, Carola Schlussel-Jellinek (Giesenow), Eva Schaalmann (Isaac), Susanne Millins (Berkenau) und Hans Helmut Reiche (Coppel), die während der Nazizeit mit ihren Familien aus Solingen fliehen mussten. Anläßlich der Woche der Begegnung wurde auch ein Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof errichtet.
Die jüdischen Gäste bei der Enthüllung des Gedenksteins auf dem jüdischen Friedhof. Foto: Stadtarchiv Solingen, RS 14030