Jüdische Kaufleute in Ohligs

Station 11: Familie Meyerhoff

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Die Düsseldorfer Str. 17 heute. Foto: Daniela Tobias

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Nach dem Konkurs des Geschäfts „S. Meyerhoff, Manufaktur- und Modenhaus“ an der Adresse Düsseldorfer Str. 49 hatte Henriette Meyerhoff 1932 unter ihrem Namen ein neues Geschäft an der Düsseldorfer Str. 17 eröffnet. Zwei Hilfskräfte waren in dem neuen Unternehmen beschäftigt, auf das man per Annoncen im Ohligser Anzeiger mit „S. Meyerhoff, das Haus der guten Webwaren“ hinwies.

Annonce im Ohligser Anzeiger vom 11. Februar 1933, Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw

1930 hatte in der Ohligser Presse noch die Veröffentlichung von drei Klavierstücken für Aufsehen gesorgt, die Henriettes Sohn Fritz komponierte und im Leipziger Rundfunk vorspielen durfte.

„Schon in frühester Jugend machte sich in ihm eine ungewöhnliche Begabung für Musik geltend, die seine Lehrerin Frau Colonius in Köln liebevoll zu pflegen und auszubilden wußte. Aber das Leben stellt andere Anforderungen, und so wurde aus dem kleinen Fritz ein Kaufmann. Er hat es getragen viele Jahre, könnte man in Anlehnung an eine Löwesche Ballade sagen, aber dann brach sich der wahre Beruf durch: er wurde Musiker und hat sich in kurzer Zeit die Gunst des Publikums und der Leipziger ernsten Kritik erworben. In Fachzeitschriften wird ihm eine glänzende Zukunft prophezeit.“

Ohligser Anzeiger, 5.8.1930

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten waren aufgrund des Boykotts jüdischer Geschäfte und der zunehmenden Ausgrenzung und Entrechtung jüdischer Bürger nicht nur die wirtschaftliche Existenz der Meyerhoffs in Ohligs bedroht, sondern auch die der Verwandten in Körbecke und in Duisburg. Auch Sohn Fritz konnte nicht weiter als Musiker arbeiten.

Einbürgerungsantrag von Grete Luise Rosenblatt. Quelle: National Archives at Riverside; Riverside, California; NAI Number: 594890; Record Group Title: Records of District Courts of the United States, 1685-2009; Record Group Number: 21

Am 29. Oktober 1938 konnte Henriettes Tochter Grete mit Ehemann Heinrich Rosenblatt und Tochter Hella von Rotterdam aus in die USA emigrieren. Nur wenige Tage nach ihrer Ankunft in New York durchlitten die in Deutschland verbliebenen Juden die reichsweiten Pogrome. In Ohligs wurde Simon Meyerhoff in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von einem Polizeibeamten gezwungen, die Düsseldorfer Straße von den Scherben zu reinigen, die die Nationalsozialisten bei dem Überfall auf sein Geschäft hinterlassen hatten.

Das Geschäft von Henriette Meyerhoff war auf der linken Straßenseite in dem letzten Haus, das in der Mitte sichtbar ist. Postkarte von ca. 1910

Henriettes Sohn Fritz Marx, der zu der Zeit in Duisburg gemeldet war, gehörte zu den jüdischen Männern, die man im November 1938 nach Dachau verschleppt hatte. Nach seiner Entlassung gelang es ihm nach Belgien zu fliehen und schließlich im Mai 1939 in die USA zu emigrieren.

Simon Meyerhoffs Bruder Max und seine Frau waren aus Körbecke nach Düsseldorf gezogen, wo sie vermutlich seit Januar 1939 an der Steinstraße 60 lebten. Dort hatte die aus Solingen zugezogene Familie Lubascher bis zur Pogromnacht eine Gaststätte und Pension unterhalten. Im Verlauf des Jahres 1939 wurde das Haus in ein sogenanntes „Judenhaus“ umgewandelt. Im Mai 1939 zog auch Cilly Rosenbaum, eine Nachbarin der Ohligser Meyerhoffs, an diese Adresse.

Auch in Solingen wurden vom Wohnungsamt jüdische Familien zwangsweise in den Häusern jüdischer Besitzer zusammengelegt. Simon und Henriette Meyerhoff wohnten so seit dem 3. August 1939 zwangsweise im Haus von Toni und Berthold Westheimer an der Malteserstraße 23.

Das Ehepaar Meyerhoff gehörte zu den ersten Opfern der 1941 einsetzenden Deportationen der Juden in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten. Am 26. Oktober 1941 wurden sie zusammen mit fünfzehn weiteren Solinger Juden in das Ghetto von Litzmannstadt (Lodz) deportiert. Simon Meyerhoffs Bruder Max schrieb am 17. Dezember 1941 an die Solinger Kultusgemeinde:

„Hierdurch frage ich höfl. bei Ihnen an, ob Sie mir Angaben machen können, wohin der Transport nach dem Osten am 27/10. gegangen ist. Es handelt sich um die Eheleute Simon Meyerhoff, Malteserstrasse 23. Vielleicht ist Ihnen die derzeitige Adresse schon bekannt. Für eine baldige Auskunft bin ich Ihnen dankbar.“

Stadtarchiv Solingen, Ve 44-5

Eine Antwort ist nicht überliefert. Simon und Henriette Meyerhoff wurden am 8. Mai 1942 im Vernichtungslager Chelmno in einem Gaswagen umgebracht.

Die Weiße-Rose-AG der Geschwister-Scholl-Schule ist Putz-Pate der Stolpersteine an der Düsseldorfer Straße. Foto: Daniela Tobias

Henriette Meyerhoffs Kinder blieben in den USA über das Schicksal der beiden zu dieser Zeit noch im Ungewissen. Am 14. August 1942 meldete sich Fritz Marx, der sich jetzt „Fred“ nannte, zum Dienst in der US-Armee. Er wurde nach Algier versetzt, wo der Pianist 1943 die Musik für das Truppenmusical „Swing, Sister Wac, Swing“ arrangierte. Das Musical wurde allerdings nach vier Vorstellungen im Januar 1944 wieder abgesetzt.

Am 18. Februar 1944 interviewte die Journalistin Tania Leshinsky die Ehefrau von Fred, Alice Marx, für den New Yorker „Aufbau“:

„‚Fred war schon immer Musiker,‘ erzählt Frau Alice – er war der Schüler von Teichmüller, war Pianist und dann Kapellmeister. Sie können sich vorstellen, dass er sich nie für Jazz interessierte. Als er vor fünf Jahren nach Amerika kam, fand er sofort einen ‚job‘ als Pianist in einem Nachtlokal, und zwar – in Yorkville. Und dann kam das Neue, das Amerikanische! Er fing an Jazz zu spielen, ‚music the American way‘ (…). Er hat auch mit seinen Kompositionen grossen Erfolg. Fast alle sieben seiner ‚popular songs‘ sind Schlager geworden. (…) ‚Und was sind Ihre und seine Pläne für die Zukunft?‘ fragte ich. ‚Musik und immer wieder Musik. Die lustige, amerikanische Musik, die einen alles vergessen macht – sogar Dachau.‘“

„Begegnung in Algier“ im Aufbau, 18. Februar 1944
Die im Artikel behauptete Flucht aus Dachau ist sehr unwahrscheinlich, da es Dokumente seiner regulären Entlassung gibt und aus der Zeit keine Fluchtversuche bekannt sind. Quelle: Archiv Aufbau bei der JM Jüdischen Medien AG, Zürich via archive.org

Fred Marx blieb auch nach dem Krieg als Musiker in New York tätig, machte allerdings keine Karriere mehr im Show-Geschäft. Er starb am 11. Juli 1977 in New York. Seine Schwester Grete und ihre Familie hatten sich in Los Angeles niedergelassen und den Familiennamen Rosenblatt in Roy geändert. Greta Roy starb 1989, zehn Jahre nach ihrem Mann Heinrich.