Station 12: Der Bahnhof von Ohligs
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Die kleine Siedlung Ohligs, die durch die Eröffnung des Bahnhofs Ohligs-Wald am 25. September 1867 schnell zu einem Städtchen heranwuchs, profitierte vom Zuzug der jüdischen Händler und Händlerinnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts. An der neuen Geschäftsstraße, die sich vom Bahnhof nach Westen erstreckte, entstanden kleine Kaufhäuser mit Konfektionswaren, die man zuvor nur aus größeren Städten kannte. Der Ohligser Anzeiger war ein gern genutztes Medium, um der Kundschaft seine Angebote zu empfehlen.
Die jüdischen Kaufleute brachten oft ein familiäres Netzwerk an Geschäftspartnern mit, die den günstigen Einkauf von Waren ermöglichte. Ihre Elterngeneration war meist noch im Viehhandel tätig gewesen, während sie selber ihr Glück in der Textilbranche suchten. So schafften sie den sozialen Anschluss an bürgerliche Kreise und brachten es zu einigem Wohlstand. Ihren eigenen Kindern ließen sie eine gute Schulbildung angedeihen, diesen gelang dann mitunter der nächste Sprung in akademische Kreise.
Der Bahnhof war auch in dieser Hinsicht ein wichtiger Standortfaktor. Die Kaufleute aus Ohligs konnten ihre oft weit verstreuten Familienmitglieder und Geschäftspartner mit dem Zug besuchen. Bernhard Zürndorfers Tochter Thea besuchte ein Gymnasium in Köln, das sie ebenfalls per Bahn schnell erreichen konnte.
Auch das religiöse Leben der jüdischen Einwohner von Ohligs war auf den Bahnhof angewiesen. Von hier aus fuhr die Straßenbahn nach Solingen, wo sich die Synagoge und der jüdische Friedhof befanden.
Die Ohligser Juden und Jüdinnen waren zu einem großen Teil praktizierende Gläubige und Mitglieder der Solinger Synagogengemeinde, teilweise sogar im Vorstand und anderen Gremien engagiert. Bis in die 1920er Jahre inserierten die jüdischen Geschäfte, wenn sie an Feiertagen wie Rosh Hashanah oder Yom Kippur schlossen. Den Ohligser Kunden war also sehr wohl bekannt, welchem Glauben die Inhaber angehörten.
Die antisemitische Propaganda der Nationalsozialisten ging auch an den Ohligsern nicht spurlos vorbei. Schon vor 1933 gab es Veranstaltungen der NSDAP, die gegen Juden Stimmung machten. Viele Ohligser blieben zwar trotz der Boykottaufrufe des NS-Staates treue Kunden, in der Pogromnacht eskalierte die Situation jedoch endgültig. Die noch verbliebenen Geschäfte an der Düsseldorfer Straße waren erstes Ziel der Schlägertruppen der SA und SS, die die Läden zertrümmerten und die Familien terrorisierten.
Wieder wurde der Bahnhof Ohligs zur Drehscheibe, diesmal der Auswanderung. Vor allem die junge Generation, die noch die Möglichkeit hatte, sich ein neues Leben aufzubauen, verließ Deutschland, ging in die USA, nach England oder Südamerika. Für diejenigen, die nicht das Glück hatten, dass Verwandte im Ausland für sie bürgten, blieb meist nur Belgien als Fluchtort. 1941 schloss Deutschland die Grenzen und begann mit den Deportationen in den Osten, wo mehrere Ohligser Juden und Jüdinnen in Ghettos und Vernichtungslagern den Tod fanden. Einige der Transporte dürften über den Bahnhof Ohligs gelaufen sein. Die Ausgewanderten kehrten bis auf Enrique Bassat nie wieder nach Deutschland zurück.
Die Düsseldorfer Straße ist noch immer eine belebte Einkaufsstraße. An mehreren Stellen liegen heute Stolpersteine, um an die Verfolgten zu erinnern. Mit diesem Rundgang möchten wir auch an diejenigen erinnern, für die bislang kein Stolperstein verlegt wurde, weil ihnen die rechtzeitige Auswanderung gelang. Denn auch sie wurden entrechtet, verfolgt und vertrieben und sollten nicht vergessen werden.