Jüdische Kaufleute in Ohligs

Station 4: Familie Rosenbaum

zur nächsten Station springen
Die Düsseldorfer Str. 46 heute. Foto: Daniela Tobias

Düsseldorfer Str. 46 – Zur Karte – Zum Tourstart

Im Gegensatz zu den meisten anderen jüdischen Händlern in Ohligs stammte Abraham „Adolf“ Rosenbaum nicht aus der preußischen Rheinprovinz oder aus Westfalen, sondern aus dem weit im Osten liegenden Rozniatow, das zur Zeit seiner Geburt am 14. Oktober 1884 noch zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie gehörte. Im Dezember 1909 zog er nach Ohligs und eröffnete 1912 an der Düsseldorfer Straße 46 ein Geschäft für Herrenbekleidung, Schuhwaren, Kurzwaren und Arbeiterbekleidung. Zwei Jahre später meldete er unter derselben Adresse ein Gewerbe für Schuhwaren an. Sein älterer Bruder Moses Rosenbaum hatte bereits 1911 in Wald ein Schuhgeschäft eröffnet.

Geschäft Rosenbaum, Düsseldorfer Str. 46 (3. Haus v. rechts), Postkarte von ca. 1926. Quelle: Stadtarchiv Solingen, PK 1520
Geschäft Rosenbaum, Düsseldorfer Str. 46 (3. Haus v. rechts), Postkarte von ca. 1926. Quelle: Stadtarchiv Solingen, PK 1520

Adolf Rosenbaum heiratete im Frühjahr 1914 Cilly Weissfeldt, die am 19. Oktober 1883 in Zempelburg in Westpreußen geboren wurde. Sie hatte zwei Brüder, die in Solingen nach der Jahrhundertwende das Herrenkonfektionsgeschäft „Gebr. Weissfeldt“ gegründet hatten.

Was Adolf Rosenbaum ebenfalls von der Konkurrenz an der Düsseldorfer Straße unterschied, war sein Verzicht auf Werbung. Im Ohligser Anzeiger findet sich abgesehen von der Eröffnungsanzeige und einer kurzen Mitteilung, dass sein Geschäft an Yom Kippur geschlossen bleibe, lediglich eine weitere halbseitige Annonce, in der er verkündete, dass er auf teure Reklame verzichte, um seinen Kunden besonders günstige Preise bieten zu können.

Annonce vom 20.3.1913 im Ohligser Anzeiger, Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw

Am 22. Juni 1922 brachte Cilly Rosenbaum in Ohligs Tochter Lia zur Welt. Die Familie galt als wohlhabend, lebte in einer komfortablen 4- bis 5-Zimmer-Wohnung, führte mehr als 6.000 Schuhpaare im Warenlager und beschäftigte drei bis vier Angestellte und Hilfskräfte. Die Boykottmaßnahmen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten hatten zunächst keine gravierenden Auswirkungen auf den Umsatz, machten sich aber mit den Jahren zunehmend bemerkbar, so dass das Personal nach und nach entlassen werden musste.

Geburtsanzeige für Lia Rosenbaum vom 24. Juni 1922 im Ohligser Anzeiger. Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw

1938 wurde Adolf Rosenbaum zum Verhängnis, dass er seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr als österreichischer, sondern als polnischer Staatsbürger galt. Ende Oktober wurde er in der sogenannten „Polenaktion“ über die Grenze nach Polen abgeschoben, bei der deutschlandweit mindestens 17.000 Juden verhaftet und zwangsausgewiesen wurden. Da die polnischen Grenzbehörden nicht auf diese überraschende Ausweisung vorbereitet waren und die Einreise in den meisten Fällen verweigerten, hingen die Menschen oft wochenlang in Lagern oder sogar im Freien fest. Adolf Rosenbaum hielt sich laut Auskunft der Synagogengemeinde Solingen im Januar 1939 in Warschau auf. Sein Geschäft war am 13. Dezember 1938 abgemeldet worden, nachdem seit der Pogromnacht der Betrieb ohnehin eingestellt war.

Am 25. Mai 1939 meldete sich Cilly nach Düsseldorf ab, wo sie vermutlich in der Pension der Familie Lubascher an der Steinstr. 60 Aufnahme fand. Wie lange sie sich dort aufhielt, ist nicht bekannt.

Inserat Haus Lubascher, Düsseldorf in der Jüdischen Rundschau vom 12.8.1938, Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Compact Memory

In der Solinger Meldekarte von Adolf Rosenbaum findet sich zuletzt der Eintrag „Soll sich jetzt in Brüssel aufhalten“. Ob sich Cilly und Lia bereits in Belgien wieder zu ihm hatten durchschlagen können, ist bislang ungeklärt. Der nächste bekannte Aufenthaltsort der Familie war Nizza. Die südfranzösische Stadt gehörte lange Zeit zur unbesetzten Zone Frankreichs, so dass sich dort zahlreiche jüdische Flüchtlinge sammelten, die darauf hofften, von hier aus in die USA oder in andere außereuropäische Länder auswandern zu können.

Von November 1942 bis September 1943 stand Nizza unter italienischer Besatzung. Bei aller Brutalität ihrer Herrschaft stoppten die Italiener die antisemitischen Maßnahmen der Vichy-Regierung und lieferten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Juden an die Deutschen aus. Nachdem Italien den Kriegsaustritt erklärt hatte, übernahmen die Deutschen jedoch auch hier das Kommando und begannen sofort mit Razzien, um Widerstandskämpfer und Juden aufzugreifen.

Die Villa „Cottage Bellevue“ an der Avenue Sainte-Colette in Nizza.

Spätestens jetzt müssen die Rosenbaums untergetaucht sein. Ein Zeitzeugenbericht von Joseph Sungolowsky, der als Junge in der Villa „Cottage Bellevue“ in Nizza versteckt wurde, schildert die bangen Wochen an der Avenue Sainte-Colette, die er und sein Bruder Leon getrennt von Vater, Mutter und Schwester verbringen mussten. Ursprünglich eine Kinderbetreuungseinrichtung beherbergte die Villa zu dieser Zeit die dreiköpfige Familie Rosenbaum, den 1898 in Zolkiew geborenen Textilfabrikanten Léon Mark-Geschwind, der mit Lia verlobt war, ein weiteres älteres Ehepaar namens Bialystok sowie die beiden Brüder Sungolowsky.

Eine Zeit lang lebten die Untergetauchten in einem notdürftig eingerichteten Kellerverschlag ohne Fenster. Die menschenunwürdigen Bedingungen in diesem Versteck trieben sie jedoch wieder in ihre Zimmer zurück. Im Oktober 1943 fand nachts eine Razzia der Gestapo statt. Die Vermieterin, Madame Lemas, gab die beiden Jungen als ihre eigenen Kinder aus, die anderen konnte sie jedoch nicht retten. Familie Rosenbaum und der ältere Herr, Mendel Bialystok, wurden verhaftet und mitgenommen. Bialystoks Ehefrau blieb zurück, da sie nicht transportfähig war.

Insgesamt wurden in Nizza und Umgebung 1943/44 über 3.000 Juden festgenommen und deportiert. Adolf, Cilly und Lia Rosenbaum sowie Lias Verlobter Léon Mark-Geschwind wurden von Nizza in das Lager Drancy bei Paris verschleppt. Von diesem zentralen Sammel- und Durchgangslager aus wurden bis August 1944 fast 65.000 Juden in die in Osteuropa gelegenen Vernichtungslager transportiert. In Drancy wurde von dem zuständigen französischen Polizeichef akribisch notiert, wieviel Geld und welche Wertgegenstände man Adolf und Lia Anfang November abgenommen hatte: 3.070 Francs, 1 goldene Herrenuhr Nr. 20729, 1 goldene Kette, 1 goldene lange Halskette, 1 goldenes Armband, 1 goldene Brosche, 1 goldenes Medaillon (gebrochen), 1 goldener Zahn, 1 goldene Damenuhr, 2 goldene Damenarmbänder, 4 goldene Ringe mit Brillanten.

Von Drancy aus wurde die Familie zusammen mit Léon Mark-Geschwind und Mendel Bialystok am 20. November 1943 nach Auschwitz gebracht und ermordet.

Nach dem Krieg stellte Leo Rosenbaum, der Neffe von Adolf Rosenbaum, als Erbe einen Antrag auf Wiedergutmachung. Sein Vater Moses Rosenbaum hatte 1934 sein Schuhgeschäft in Wald verkaufen können und war mit seiner Familie nach Palästina emigriert. Nach dem Tod des Vaters ging Leo Rosenbaum zurück nach Deutschland. 1956 wurde er in Solingen wieder eingebürgert und gründete 1958 Schuhgeschäfte in Remscheid und Düsseldorf. Von 1961 bis 1976 betrieb er an der Hauptstraße 20-22 in Solingen eine dritte Filiale.