Jüdische Kaufleute in Ohligs

Station 9: Familien Steinberger und Goldschmidt

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Die Düsseldorfer Str. 26 heute. Foto: Daniela Tobias

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Julius Steinberger wurde am 12. Juli 1872 im hessischen Lauterbach geboren. 1897 heiratete er Sybilla Herz, die am 2. Februar 1872 in Langenfeld-Richrath geboren worden war.

Kaufhaus Steinberger, Düsseldorfer Str. 26 und 26a, rechts. Quelle: Stadtarchiv Solingen, PK 2136

Steinberger erkannte früh die Chancen, die ihm das wirtschaftlich aufstrebende Städtchen Ohligs mit seiner in Bahnhofsnähe gelegenen Hauptstraße bot. Bereits vor der Hochzeit eröffnete er am 3. April 1897 „im Neubau des Herrn Kleefisch“ an der Düsseldorfer Straße 32 ½ (später Nr. 26) ein „Kaufhaus I. Ranges“ für „Manufactur- und Modewaren, Damen- und Herrenconfection“. Später gehörten auch Schlafzimmereinrichtungen, Betten, Matratzen, Bettwäsche und Gardinen zum Sortiment.

Eröffnungs-Annonce von Julius Steinberger vom 3.4.1897 im
Ohligser Anzeiger. Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw

Am 29. September 1897 kam Tochter Käthe zur Welt, Sohn Kurt folgte am 28. Oktober 1899, und am 28. November 1902 wurde schließlich Tochter Elisabeth geboren. 1912 wurde Julius Steinberger erstmals in die Repräsentantenversammlung der Solinger Synagogengemeinde gewählt, in der er dauerhaft Mitglied bleiben sollte.

Im Juli 1914 brach in Europa der Erste Weltkrieg aus. Anfang Oktober 1914 demonstrierte Steinberger anlässlich der Neueröffnung des vergrößerten und modernisierten Ladengeschäfts seine vaterländische Gesinnung:

„Aus Anlass der Eröffnung und mit Rücksicht auf die ernste Zeit habe ich mich entschlossen, 10 Prozent meiner gesamten Einnahme vom 3. bis einschliesslich 5. Oktober d. J. Herrn Bürgermeister Czettritz, Ohligs, zu wohltätigen Zwecken der Stadt Ohligs und an die verwundeten Krieger zur Verfügung zu stellen. Kaufhaus Jul. Steinberger, Ohligs.“

Julius Steinberger im Ohligser Anzeiger vom 3. Oktober 1914

Wenige Monate später traf die Familie ein privates Unglück. Im Alter von nur 17 Jahren starb am 28. Februar 1915 nach langem Leiden Tochter Käthe. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof in Solingen beigesetzt.

Nach dem Krieg engagierte sich Julius Steinberger neben seiner Tätigkeit für die Synagogengemeinde auch in der Kommunalpolitik, gehörte der DDP an, und setzte sich als Ausschussmitglied der IHK und als Vorsitzender des Ohligser Gewerbevereins für die Belange des Einzelhandels ein.

Ein festliches Ereignis im Hause Steinberger war am 18. Juni 1925 die Hochzeit von Tochter Elisabeth mit dem aus Tilsit stammenden Bankprokuristen Martin Goldschmidt. Nach der Heirat war er zunächst als Prokurist in Tilsit tätig. Im April 1928 kehrte er mit seiner Frau nach Ohligs zurück, um in die Geschäftsführung des neu gegründeten Stahlwarengeschäfts seines Schwiegervaters einzutreten.

Am 12. August 1927 hatte Julius Steinberger nach 30jähriger Geschäftstätigkeit den Totalausverkauf seines Kaufhauses angekündigt. Nähere Gründe für die Schließung sind nicht bekannt. Am Standort des Kaufhauses eröffneten Albert Oster und Karl Wallach im September 1927 das Textilwaren-Detailgeschäft „Oster & Co.“.

Am 1. November 1930 begann Julius Steinberger dann mit der Produktion und dem Handel von Rasierklingen in Ohligs und dem Export von Taschenmessern und Scheren. Standort der Fabrik war zunächst die Junkerstraße, später dann die Erholungsstraße. Schwiegersohn Martin Goldschmidt trat in die Geschäftsführung ein, Tochter Elisabeth arbeitete als Einkäuferin und Korrespondentin in dem Betrieb. Auch Sohn Kurt trat in den neuen Betrieb ein.

Am 30. Oktober 1932 starb Julius Steinberger infolge eines Schlaganfalls in Düsseldorf. Angestellte und Vereine kondolierten im Ohligser Anzeiger. Er wurde am 2. November 1932 unter Beteiligung der Spitzen der staatlichen und städtischen Behörden und vieler Vereine auf dem jüdischen Friedhof in Solingen beigesetzt.

Traueranzeige des Gewerbevereins im Ohligser Anzeiger vom 1. November 1932, Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw

Sohn Kurt Steinberger emigrierte bereits 1932 nach London. Sybilla Steinberger war nach dem Tode ihres Mannes und dem Weggang ihres Sohnes Alleinbesitzerin der Stahlwarenfabrikation geworden, nahm aber 1933 ihren Schwiegersohn Martin Goldschmidt als stillen Teilhaber auf und übertrug ihm die Geschäftsleitung. Die Firma warf auch nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ bis 1934 beträchtlichen Gewinn ab, machte jedoch 1937 erstmals Verluste.

Noch im Anfang 1938 schienen Steinbergers an eine Zukunft der Firma in Deutschland zu glauben. Mit einer Annonce in der „Central-Verein-Zeitung“ suchte man einen Vertreter:

„Seriöser (bei Grossisten u. Detaillist.) gut eingeführter jüd.[ischer] Vertreter für die Bezirke: Ostpreussen, Westpreussen, Nord-, Mittel- und Süddeutschland, Frankfurter Bezirk und Gross-Berlin gegen Provision gesucht. Ausführliche Offerte unter Angabe von Referenzen an Julius Steinberger Stahlwarenfabrik und Export Sol.-Ohligs.“

Annonce der Firma Steinberger in der Central-Verein-Zeitung vom 24. März 1938

Wenig später aber verkaufte Sybilla Steinberger ihren Grundbesitz und bezahlte mit dem Erlös die „Reichsfluchtsteuer“. Im Oktober 1938 reiste sie zu ihrem Sohn Kurt nach England, wanderte aber erst Anfang 1939 offiziell mit ihrer Tochter Elisabeth und deren Ehemann Martin Goldschmidt aus.

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 drangen SA-Männer gewaltsam in die Wohnung der Goldschmidts an der Düsseldorfer Straße ein, die Wohnung wurde verwüstet und Martin Goldschmidt misshandelt. Nach dem Krieg berichtete er:

„In dieser Nacht gegen 1.30 Uhr verlangten 5 oder 6 Leute in SA-Uniform Einlaß, nachdem sie an der Haustüre geschellt hatten. […] Da ich mich im 2. Stock im Korridor aufhielt, hörte ich, daß die im 2. Stockwerk wohnende Frau N. auf den Selbstöffner-Knopf drückte und dann sah ich, daß diese Frau den Leuten entgegenging. Die eintretenden SA-Leute frugen Frau N.: ‚Wo ist der Jud?‘ Darauf antwortete Frau N.: ‚Der hat sich bei Stoll im 2. Stock versteckt.‘ Da ich einsah, daß ich den Dingen, die nun kommen würden, nicht entgehen konnte, wollte ich zu meiner Wohnung im 1. Stock gehen. Auf halbem Wege kamen mir jedoch die Eingedrungenen entgegen. Ich wurde dann von den Leuten geschlagen. An dieser Mißhandlung waren alle Personen beteiligt. […] Einer dieser Männer trug eine Eisenstange bei sich. Sie begaben sich in alle Zimmer, die zu meiner Wohnung gehörten und zerschlugen wahllos alles Mobiliar, Bilder, Kristall und der Kronleuchter wurde von der Decke gerissen. […] Ich habe gehört, daß H. zu meiner Frau sagte: ‚Wenn Sie das Schreien nicht aufhören, schieße ich Sie über den Haufen.‘“

LAV, Abteilung Rheinland, NRW Gerichte Rep. 191, Nr. 43, Bl. 82, zitiert nach Stracke, S.147f.

Zusammen mit seinen Nachbarn, dem Arzt Dr. Hugo Lichtenstein und dem Kaufmann Karl Wallach, wurde Martin Goldschmidt am 10. November 1938 verhaftet und in das KZ Dachau verschleppt. Goldschmidt wurde nach eigenen Angaben nur unter der Bedingung des sofortigen Verkaufs der Firma und seiner baldigen Emigration entlassen. Am 5. Dezember 1938 wurde der Betrieb durch Eugen Spiecker, einen langjährigen Angestellten der Firma, übernommen und „arisiert”.

Am 14. Januar 1939 konnte das Ehepaar Goldschmidt nach London emigrieren. Nach eigenen Angaben erzielte Martin Goldschmidt zunächst kein eigenes Einkommen und war auf die Unterstützung seines Schwagers angewiesen. Später übte er eine selbständige Tätigkeit als Vertreter aus. Kurt Steinberger starb sehr jung am 1. April 1940. Seine Mutter Sybilla verstarb am 22. Juni 1942. Elisabeth Goldschmidt starb am 8. April 1969 in London, ihr Ehemann Martin 1972.