Jüdische Kaufleute in Ohligs

Station 8: Familie Zürndorfer und Lichtenstein

zur nächsten Station springen
Die Düsseldorfer Str. 34-36 heute. Foto: Daniela Tobias

Düsseldorfer Str. 34–36 – Zur Karte – Zum Tourstart

Bernhard Zürndorfer wurde am 14. Februar 1876 als sechstes von acht Kindern des Textilhändlers Max Wolf Zürndorfer und seiner Frau Ida im württembergischen Rexingen im Schwarzwald geboren. Ebenso wie sein Vater wählte Bernhard Zürndorfer den Kaufmannsberuf. Bereits vor seiner Hochzeit zog er nach Ohligs. Im Oktober 1907 heiratete er Rosalie Feitler, die am 18. März 1881 in Groß-Rohrheim in Hessen geboren worden war.

Die Düsseldorfer Str. 34-36 ist das vierte Haus von links, Quelle:
Stadtarchiv Solingen, PK 3501
Geburtsanzeige für Thea Zürndorfer vom 26. Oktober 1908 aus dem Ohligser Anzeiger. Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw

Ein Jahr nach der Hochzeit kam am 24. Oktober 1908 in Ohligs Tochter Thea zur Welt. Im Mai 1912 wurde dem Ehepaar Zürndorfer die Tochter Margot geboren. Spätestens in diesem Jahr eröffnete das Ehepaar an der Düsseldorfer Straße 34 im Neubau des Apothekers Retienne ein eigenes Geschäft für Kurz- und Weißwaren. Das Geschäft florierte, zeitweise wurden bis zu acht Hilfskräfte beschäftigt.

Annonce von Zürndorfer im Ohligser Anzeiger vom 20.3.1913, Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw

Während des Ersten Weltkrieges leitete Bernhard Zürndorfer den „Schutzverein für Kleinhandel und Gewerbe der Städte Ohligs-Wald“ und vertrat deren mittelständische Interessen. Bernhard Zürndorfer starb am 23. Dezember 1920 relativ jung an den Folgen einer Zuckererkrankung. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Solingen beigesetzt.

Nachruf des Schutzvereins für Kleinhandel und Gewerbe auf Bernhard Zürndorfer im Ohligser Anzeiger vom 24.12.1920, Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw

Im Ohligser Anzeiger kondolierten Angestellte und Mitglieder des Schutzvereins für Kleinhandel und Gewerbe zum Tod von Bernhard Zürndorfer. Das Geschäft wurde nun von seiner Frau Rosalie weitergeführt.

Da die Familie wohlhabend war, gehörten die beiden Töchter in den 1920er Jahren zu den noch sehr wenigen Mädchen dieser Zeit, die eine höhere Schulbildung erhielten. Thea besuchte die Königin-Luise-Schule in Köln und bestand dort 1928 das Abitur. Als Berufswunsch gab sie Zahnmedizinerin an. Ihre Schwester Margot verließ 1929 noch vor dem Eintritt in die Oberstufe das Städtische Lyzeum in Ohligs. Thea verlobte sich am Anfang 1929 mit dem Silberschmied Ivan Shortt aus Birmingham. 1931 heiratete das Paar und sie zog zu ihm nach England.

Nach der „Machtergreifung“ gingen ab 1933 die Einnahmen des Zürndorferschen Geschäfts in Ohligs aufgrund des Boykotts jüdischer Einzelhändler und Kaufhäuser zurück. 1938 waren kaum noch Einkommen zu verzeichnen, die einen Lebensunterhalt hätten gewährleisten können. Am 30. Mai 1938 heiratete die zu dieser Zeit bereits schwer herzkranke Margot Zürndorfer den Gynäkologen Hugo Lichtenstein. Trauzeugen des Brautpaares waren die Kaufleute Martin Goldschmidt und Walter Wertheim.

Hochzeit von Hugo und Margot Lichtenstein, geb. Zürndorfer mit Margot Wallach (links) und Bella Taback als Blumenmädchen, Quelle: Bella Tabak Altura
Hochzeit von Hugo und Margot Lichtenstein mit Margot Wallach (links) und Bella Tabak als Blumenmädchen, Quelle: Bella Tabak Altura

Hugo Lichtenstein entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Stadtoldendorf, wo er am 3. Februar 1900 zur Welt gekommen war. Nach Studium und fachärztlicher Ausbildung sowie seit 1929 assistenzärztlicher Tätigkeit an den Städtischen Krankenanstalten in Solingen hatte er sich im Oktober 1931 als Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe an der Wilhelmstraße 21 in Ohligs niedergelassen. Seit 1933 war auch sein Praxisbetrieb infolge der NS-Rassenpolitik stetig zurückgegangen, zum 30. September 1938 entzog das Regime allen jüdischen Ärzten die Approbation. Nur einen Tag später wurde am 1. Oktober 1938 das Zürndorfersche Geschäft „arisiert” und an die bisherige Geschäftsführerin Elisabeth Schmidt verkauft.

Eröffnungsanzeige von Dr. Hugo Lichtenstein im Ohligser Anzeiger vom 30.9.1931, Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw
Eröffnungsanzeige von Dr. Hugo Lichtenstein im Ohligser Anzeiger vom 30.9.1931, Quelle: Stadtarchiv Solingen via zeitpunkt.nrw

Nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde Hugo Lichtenstein verhaftet und zusammen mit anderen Solinger Juden in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Er wurde am 3. Dezember 1938 mit der Auflage aus dem KZ entlassen, Deutschland zu verlassen. Nur wenige Tage später, am 16. Dezember, starb seine herzkranke Frau Margot. Das Beerdigungsbuch der jüdischen Gemeinde vermerkte:

„Ein edles, frommes Menschenkind, das in den Augen Gottes u. der Menschen Wohlgefallen gefunden hatte. Ein böses Herzleiden knickte eine herrliche Rose, ehe sie erblüht war. Sie war eine Zierde der Gemeinde. Sie ruht neben ihrem früh verstorbenen Vater.“

Beerdigungsbuch der jüdischen Gemeinde, Quelle: Stadtarchiv Solingen
Grabstein von Bernhard Zürndorfer und seiner Tochter Margot Lichtenstein, Foto: Daniela Tobias

Am 11. März 1939 konnte Rosalie Zürndorfer zu ihrer Tochter Thea Shortt auswandern. Hugo Lichtenstein war bereits im Februar nach England geflohen. Sein Vermögen wurde zu Gunsten des „Dritten Reiches“ eingezogen, das Umzugsgut 1941 versteigert. In England arbeitete er zunächst als Sprachlehrer, ab April 1940 war er als Lagerhalter einer Fabrik tätig. 1941 erhielt er die Erlaubnis, in einem Krankenhaus als Assistenzarzt zu arbeiten, ab Juli 1949 war er in Swindon, Wiltshire als praktischer Arzt tätig. Hugo Lichtenstein lebte bis zu seinem Tod am 11. August 1975 in Swindon.

Seine Schwiegermutter Rosalie Zürndorfer starb am 23. April 1957 in Birmingham. Ihr Schwiegersohn Ivan Shortt, der in der jüdischen Gemeinde in Birmingham die Position eines „President of the Birmingham Hebrew Congregation“ bekleidet hatte, verstarb bereits 1962, seine Frau Thea am 15. Dezember 1991. Im Zuge der Recherchen zu den jüdischen Kaufleuten von der Düsseldorfer Straße gelang es 2021, Kontakt zu ihren Enkel:innen herzustellen.