Die Bezirksvertretung Mitte hatte am 21. März zu ihrer 33. Sitzung das Thema „Sachstand Max-Leven-Haus“ auf der Tagesordnung. Als Referent war Stadtarchivar Ralf Rogge eingeladen. Bezirksbürgermeister Richard Schmidt (SPD) informierte vor dessen Vortrag darüber, dass der Tagesordnungspunkt missverständlich formuliert gewesen sei und es nicht um das Bauvorhaben der Stadt-Sparkasse ginge, sondern lediglich um Informationen zu Max Leven. Die BV habe sich gewundert, was es mit dieser Person auf sich habe, dass „auf einmal“ so ein Interesse an ihr bestünde. Nach dem Vortrag beantragte Dietmar Gaida eine Sitzungsunterbrechung, damit Daniela Tobias das Anliegen des „Arbeitskreises Verfolgung und Widerstand in Solingen 1933-1945“ bezüglich einer Bildungs- und Gedenkstätte darlegen könne. Dies wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Leider konnten so Missverständnisse, die in der Diskussion unter den Mitgliedern der BV offensichtlich wurden (zum Beispiel geht es nicht um einen Gedenkort für Max Leven), nicht klargestellt werden. Wir hoffen, dass wir dies zu einem späteren Zeitpunkt nachholen können. Den Mitgliedern der BV wurde die folgende Stellungnahme in schriftlicher Form überreicht.
„Vor 25 Jahren hat der Stadtrat unserer Nachbarstadt Wuppertal den Beschluss gefasst auf dem Gelände der zerstörten Elberfelder Synagoge eine Begegnungs- und Gedenkstätte zu errichten. Viele Jahre hat es gedauert, bis überhaupt der erste Spatenstich getan war, bis ein Ausstellungskonzept erstellt war und die Einrichtung zu der Erfolgsgeschichte wurde, die sie heute ist. Die Leiterin Dr. Ulrike Schrader betonte in einem Gast-Beitrag für die WZ vom 18. März 2019, dass die letzten Reste der Grundmauern der Synagoge das Herzstück der Gedenkstätte seien.
In Solingen ist außer zwei Fotos nichts von der Synagoge geblieben. Ein Hochbunker aus Stahlbeton wurde brutal an ihre Stelle gesetzt. Wir haben in Solingen nahezu keine authentischen Gebäude mehr, die eng mit der Geschichte der NS-Zeit und der Verfolgten verknüpft sind. Eine der wenigen Ausnahmen stellt der Gebäudekomplex Max-Leven-Gasse / Am Neumarkt dar. Hier wurde in der Pogromnacht im November 1938 der jüdische Kulturredakteur und Kommunist Max Leven vor den Augen seiner Familie erschossen. Hier befanden sich die Redaktionsräume, die Druckerei und eine Buchhandlung der „Bergischen Arbeiterstimme“, die 1933 umgehend von den Nazis verboten wurde. Ein Ort von großer sozial-historischer Bedeutung für Solingen, Teil der sogenannten „Arbeiter-City“. Auch die Gebäude der AOK und des Spar- und Bauvereins zählen dazu und stehen bereits unter Denkmalschutz.
In Solingen war eine außergewöhnlich hohe Zahl an Menschen im Widerstand aktiv und natürlich auch von repressiven Maßnahmen bis hin zur Vernichtung betroffen. Man geht von über 1500 Männern und Frauen aus, die in der Klingenstadt versucht haben Unterdrückung, Terror und Krieg etwas entgegenzusetzen. Mindestens 57 von ihnen bezahlten diesen mutigen Einsatz mit ihrem Leben.
121 Stolpersteine liegen inzwischen in Solingen, zwölf Schulen putzen sie einmal im Jahr. Die Jugendlichen bekommen so über die Opferbiographien Zugang zur lokalen Geschichte der NS-Zeit. Was fehlt ist ein zentraler Ort für eine zusammenhängende Darstellung des gesamten Kontextes, die auch die Täterseite nicht ausspart, die Strukturen und Dimensionen aufzeigt und so zu einem lebendigen Ort für Begegnung und Bildung werden kann.
In einer Pressemitteilung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen von Januar 2019 heißt es:
„Vor dem Hintergrund zunehmender antisemitischer Vorfälle ist es heute wichtiger denn je, über die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuklären. Gedenkstätten und Erinnerungsorte sind hier von großer Bedeutung – insbesondere in einer Zeit, in der die Generation der Zeitzeugen immer kleiner wird“, sagte der Staatssekretär, der im September eine Besuchsreihe zu allen 28 NS-Gedenkstätten im Land gestartet hat. „Gedenkstätten und Erinnerungsorte halten die Erinnerung an die Opfer wach, geben ihnen einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte. Auch für die Täterforschung spielen sie eine große Rolle. Deshalb wollen wir die Gedenkstättenarbeit noch stärker unterstützen und auch das große ehrenamtliche Engagement würdigen.“
In den letzten Jahren sind die Besucherzahlen der NS-Gedenkstätten angestiegen – von 278.000 im Jahr 2015 über 330.000 im Jahr 2016, 356.000 im Jahr 2017 auf aktuell fast 400.000. Geschätzt etwa ein Drittel der Besucherinnen und Besucher sind Jugendliche. Bei Seminaren und Führungen, die insgesamt stark nachgefragt sind, liegt der Anteil der Schülerinnen und Schüler sogar bei 70 Prozent.
Man sieht also, hier hat Solingen Nachholbedarf. Uns berichteten Lehrer, dass sie wochenlang auf einen Besuchstermin in der NS-Gedenkstätte in Köln warten, weil die Führungen ausgebucht sind. Besonders eindrücklich für die Schüler ist auch hier der authentische Ort, das Gefühl in den Spuren der Betroffenen zu gehen, die Räume und ihren Bezug zur umgebenden Stadt zu erleben. Diese Authentizität ist durch nichts zu ersetzen. Man denke nur an das Anne-Frank-Haus in Amsterdam.
Wir halten es daher für dringend geboten, den Gebäudekomplex der Bergischen Arbeiterstimme für eine Bildungs- und Gedenkstättenarbeit zu erhalten und einen Prozess zu starten, der möglichst viele Akteure und Interessierte einbezieht, der Kooperationen sucht, der sich der Herausforderung stellt, eine angemessene Form des Gedenkens und der Auseinandersetzung in einer zukünftigen Zeit ohne Zeitzeugen zu schaffen.
Die auch von Solinger Medien gestellte Frage „warum jetzt auf einmal?“ hat uns im übrigen sehr irritiert. Sie ignoriert den jahrelangen Einsatz von Organisationen wie der VVN, Kulturforum und „Die Provinz lebt“ oder von Personen wie Armin Alfermann und Olaf Link, die sich für eine Begegnungsstätte an einem Ort wie diesem stark gemacht haben.
Die Stadt-Sparkasse Solingen hat jetzt die einmalige Chance, hier etwas für die Stadt Solingen zu ermöglichen, was jahrzehntelang unerreichbar schien und die unwiederbringliche Zerstörung eines historisch so bedeutsamen, einmaligen Ortes zu verhindern. Unser Anliegen ist bereits bei Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, den Baugenossenschaften, dem Jugendstadtrat und anderen Institutionen, aber auch Solinger Bürgerinnen und Bürgern auf reges Interesse gestoßen und wir hoffen daher auch auf Ihre politische Unterstützung. Bitte beteiligen Sie sich am Runden Tisch Anfang Mai und informieren Sie sich auf der Webseite des Unterstützerkreises Stolpersteine.“