Heinrich Irsen und der § 175

Wie in den letzten Jahren sind wir am 26. Juli 2025 wieder mit einem Infostand am Klingenpride des CSD Solingen im Südpark beteiligt und werden dort an das Schicksal des Solingers Heinrich Irsen erinnern, der im Nationalsozialismus als Homosexueller verfolgt und ermordet wurde.

Um 13 Uhr startet der Demozug des Christopher Street Days am Rathaus, das Bühnenprogramm an den Güterhallen beginnt um 15 Uhr.

Bereits am 19. Juli um 18 Uhr wird die Ausstellung „IM NAMEN DES VOLKES !? § 175 StGB im Wandel der Zeit“ des Centrums Schwule Geschichte im Atelier AndersARTig, Alexander-Coppel-Straße 40, durch Bürgermeisterin Ioanna Zacharaki eröffnet. Die Ausstellung zeigt bis zum 27. Juli die Geschichte antihomosexueller Gesetzgebung in Deutschland mit Fokus auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens. Sie setzt damit erste Marken für eine umfassende Aufarbeitung der LSBT*IQ-Geschichte des größten und bevölkerungsreichsten Bundeslandes.

Öffnungszeiten:
Mittwoch 15.00 – 19.00 Uhr | Freitag 13.00 – 18.00 Uhr
Samstag, Sonntag 10.00 – 18.00 Uhr
Eintritt frei

Heinrich Irsen (1904-1942)

Stolperstein für Heinrich Irsen, Foto: Michael Kramer/wikimedia unter GNU Free Documentation License, version 1.2

Am 2. August 2017 hat der Künstler Gunter Demnig einen Stolperstein für Heinrich Irsen in Solingen verlegt. Er liegt am Ort des ehemaligen, noch existierenden Wohnhauses Katternberger Straße 202a auf dem Gehweg vor der Toreinfahrt. Es ist in Solingen der erste und bisher einzige Stolperstein zur Erinnerung an einen in der NS-Zeit verfolgten homosexuellen Mann.

Heinrich Irsen kam am 22. September 1904 in Höhscheid zur Welt. Er war Sohn des Scherenfabrikarbeiters Wilhelm Irsen und seiner Ehefrau Maria. Über das Leben von Heinrich Irsen ist wenig bekannt. Er war katholisch, blieb ledig und lebte bis auf kurze Unterbrechungen in Solingen-Höhscheid, zuletzt bei seiner Mutter an der Katternberger Straße 202a.

Am Samstag, den 12. Juni 1937 geriet Heinrich Irsen möglicherweise in eine Razzia der Polizei in Köln, die gezielte Maßnahmen gegen Homosexuelle durchführte. Er wurde wegen des Verdachtes der „Unzucht“, so die Bezeichnung der NS-Diktatur für gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern, verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt. Sein Name, Lebensdaten, Wohnanschrift und der Fingerabdruck des rechten Zeigefingers wurden festgehalten.

Ab diesem Zeitpunkt war Heinrich Irsen in das Verfolgungsraster von Polizei und NS-Justiz geraten. Wann und ob gegen ihn Anklage wegen Verstoßes gegen den Paragraphen 175 erhoben wurde und ob er zu einer Gefängnis- oder Zuchthausstrafe verurteilt wurde, ist bislang ungeklärt. Am 30. April 1942 wurde er erneut durch die Wuppertaler Kripo in Polizeihaft genommen. Von dort wurde er am 17. Mai 1942 in das KZ Sachsenhausen bei Berlin deportiert. Er wurde zum Häftling Nr. 42322 gemacht und als „BV“ (Berufsverbrecher) stigmatisiert.

Der Paragraph 175 trat 1872 mit dem Reichsstrafgesetzbuch in Kraft und verbot „widernatürliche Unzucht“ unter Männern und mit Tieren. 1935 wurde der Paragraph von den Nationalsozialisten auf alle als „Unzucht“ gewerteten Handlungen zwischen Männern ausgeweitet. Das konnte schon eine einfache Berührung sein. Lesbische Frauen wurden unter anderen Vorwänden diskriminiert und verfolgt.

Die Deportation nach Sachsenhausen war Folge eines Erlasses des SS-Reichsführers und Chefs der deutschen Polizei, Heinrich Himmler. Er hatte am 12. Juli 1940 bestimmt: „Ich ersuche, in Zukunft Homosexuelle, die mehr als einen Partner verführt haben, nach der Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen.“ Dieser Befehl hatte zur Folge, dass diejenigen, die ihre Strafe verbüßt hatten, unmittelbar nach Haftende in ein KZ deportiert wurden. Als „Vorbeugehäftlinge“ kamen sie nicht mehr in Freiheit, sondern wurden in Lagern oder KZ umgebracht. Sie starben durch Erschießung bei von der SS inszenierten Fluchtversuchen, durch Folter oder langsame körperliche Auszehrung, die durch Unterernährung bei schwerster Sklavenarbeit unter katastrophalen hygienischen Bedingungen herbeigeführt wurde.

So geschah es auch bei Heinrich Irsen. In Sachsenhausen wurde er dem gefürchteten Strafkommando im Außenlager Großziegelwerk, dem sogenannten „Klinker“, zugewiesen. Durch die heimlichen Aufzeichnungen des Häftlings Emil Büge, der trotz Lebensgefahr seine Beobachtungen und die Namen der Opfer schriftlich festhielt, wissen wir, dass im Sommer 1942 eine gezielte Mordaktion gegen Homosexuelle stattfand. Dabei wurden allein im Juli 1942 über 80 namentlich bekannte Männer ermordet, darunter auch Irsen. Er wurde nur 37 Jahre alt. Er starb am 5. Juli 1942 in Folge der Torturen, angebliche Todesursache: Herz- und Kreislaufschwäche.

Bericht von Emil Büge über die ermordeten Homosexuellen der Aktion „Klinker“ mit dem Namen von Heinrich Irsen (hier falsch Issen geschrieben). Quelle: 8153700/82151097/ITS Digital Archive, Arolsen Archives

Irsen war einer von mehreren Tausend Männern und Frauen, die während der NS-Zeit wegen des Vorwurfes homosexueller Kontakte verfolgt wurden und die Verhör, Folter, Zwangskastration, Gefängnis, Zuchthaus, Deportation und Konzentrations- oder Vernichtungslager nicht überlebten. Diejenigen Homosexuellen, die die NS-Zeit überlebten, wurden nach dem 8. Mai 1945 weiter verfolgt. Bis zum Jahr 1969 blieb der Strafrechtsparagraph 175 in der 1935 von den Nazis verschärften Fassung unverändert bestehen.

1968 leitete der damalige Justizminister und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann die Reform des Paragraphen in der Bundesrepublik ein. Die DDR hatte die strafrechtliche Verfolgung bereits in den 1950er Jahren eingeschränkt und 1968 den Paragraphen 175 gestrichen. Seit 1994 werden homosexuelle Männer und Frauen im wiedervereinigten Deutschland nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Erst 2002 wurden die Urteile aus der NS-Zeit aufgehoben, die aus der Zeit von 1945 bis 1994 dann 2017.

Karteikarte für Heinrich Irsen vom Amt für die Erfassung von Kriegsopfern, Berlin.
Quelle: 23120001 208/130607989/ITS Digital Archive, Arolsen Archives

Der Text basiert auf Recherchen von Jürgen Wenke, ehrenamtlicher Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins Rosa Strippe e.V., Beratungsstelle für Lesben, Schwule und deren Familien.

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