Virtueller Rundgang durch das ehemalige Zentrum der Arbeiterbewegung

Ihre Tage sind gezählt: Anfang Januar werden die Gebäude zwischen Neumarkt und Kölner Straße für die neue Hauptgeschäftsstelle der Stadt-Sparkasse Solingen weichen müssen. In dem Neubau wird 2023 auch die Bildungs- und Gedenkstätte Max-Leven-Zentrum ihren Platz finden. Sie entsteht am Wohnort, Arbeitsplatz und Todesort des Kulturkritikers Max Leven, der hier 1938 in der Pogromnacht erschossen wurde. Der Ort liegt inmitten des ehemaligen Zentrums der Solinger Arbeiterbewegung.

Um die historische Bedeutung dieses Zentrums rund um die Birkerstraße, Kölner Straße, Hohe Gasse (heute Max-Leven-Gasse) und die Hochstraße (heute Am Neumarkt) aufzuzeigen und die Verbindungen zwischen Gewerkschaften, Genossenschaften, Parteien und Zeitungen des linken Spektrums darzustellen, die hier bis 1933 in unmittelbarer Nachbarschaft ihre Büros und Geschäftsstellen unterhielten, wurde in den letzten Monaten zusammen mit der Excit3D GmbH ein interaktiver 360°-Rundgang entwickelt.

Erstellung der 360°-Aufnahmen für den virtuellen Rundgang.

Bei dem virtuellen Gang um die Häuser lässt sich die Geschichte bereits verschwundener Gebäude, derer, die bald abgerissen werden und solcher, die bereits unter Denkmalschutz stehen, im Vorbeigehen entdecken. Der Rundgang endet in den virtuell rekonstruierten Redaktionsräumen der „Bergischen Arbeiterstimme“.

Die Erstellung der 360°-Aufnahmen und die dreidimensionale Rekonstruktion der Innenräume wurde mit Mitteln aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert. Werner Koch, Geschäftsführer der EXCIT3D GmbH: „Wir freuen uns, dass wir das Max-Leven-Zentrum bei seiner wertvollen Arbeit rund um das Erinnern an die lokale NS-Zeit unterstützen dürfen. Der Rundgang lässt sich mit PC oder Smartphone nutzen und kann demnächst auch mit VR-Brillen betrachtet werden.“

Aufnahme des Audioguides mit Schüler*innen des Humboldt-Gymnasiums. Foto: Niklas Schenk

Damit sich die Besucher in der virtuellen Umgebung besser orientieren können, haben Schüler*innen des Q2-Religionskurses und der Radio-AG des Humboldtgymnasiums einen Audio-Guide aufgenommen. WDR-Journalist Niklas Schenk, der an der Schule als Mediencoach arbeitet und die Radio-AG betreut, hatte bereits im Oktober einen Stolperstein-Podcast mit einem evangelischen Religionskurs von Ingrid Bruchhaus aufgenommen. „Für die Jugendlichen war das eine tolle Gelegenheit, sich mit der Geschichte ihrer Stadt zu befassen, und sie freuen sich auch, Teil eines so innovativen Projekts zu sein.“

Neben der visuell erlebbaren Umgebung mit kurzen Einführungstexten und historischen Ansichten zum Anklicken gibt es auch eine vertiefende Leseversion mit weiterführenden Texten, Bildern, Dokumenten, Videos und Links zu entdecken. Armin Schulte, der als Historiker im Stadtarchiv Solingen für die Bildungs- und Gedenkstätte arbeitet, hat zusammen mit Daniela Tobias einen Teil der Texte für dieses Projekt neu recherchiert. „Der Aufwand hat sich gelohnt und wir können jetzt erstmals einen zusammenhängenden Überblick über die Geschichte dieses Quartiers und der dort agierenden Personen und Netzwerke liefern.“

Tragisch ist, dass sich in der einstigen Hochburg der Arbeiterbewegung linke Parteien und Organisationen nicht nur gegenseitig befruchteten. Sie bekämpften sich erbittert, spalteten sich auf und verloren trotz großer Wahlerfolge zum Ende der Weimarer Republik an politischer Gestaltungsfähigkeit, so dass die Nationalsozialisten auch im „roten Solingen“ rasch Fuß fassen konnten. Nach der „Machtübernahme“ gehörten sie als politische Gegner des NS zu den ersten Opfern der Verfolgung.

Screenshot Rundgang Max-Leven-Gasse. Foto: Excit3D GmbH

Die Idee, den historischen Ort virtuell zu erhalten, wenn schon die Gebäude nicht gerettet werden konnten, hatte der Verein bereits früh. Durch Corona wurde daraus schnell Wirklichkeit. „Wir standen Ende März vor der Frage, was wir mit bereits beantragten Mitteln für das Programm rund um die abgesagte Ausstellung machen sollten. Das Kommunale Integrationszentrum bestärkte uns darin, die Gelder stattdessen in digitale Projekte zu investieren“, erinnert sich die Vereinsvorsitzende Daniela Tobias. „Nun schaffen wir mit dem Rundgang gleich drei Lösungen auf einmal: wir dokumentieren die im Verschwinden begriffenen Gebäude, wir haben einen virtuellen Raum, mit dem wir bereits vor der Eröffnung der Gedenkstätte arbeiten können, und wir haben in Zeiten von Corona ein Angebot, das auch von zu Hause oder aus der Schule heraus auf Distanz genutzt werden kann.“

Für Ulli Becker, ehemalige Geschichtslehrerin und Mitglied des Vorstands des Max-Leven-Zentrums Solingen e.V., bietet der Rundgang ganz neue Möglichkeiten der Vermittlung. „Es ergänzt den realen Besuch vor Ort hervorragend. Wir können das Interesse der Schülerinnen und Schüler mit spannenden und zeitgemäßen technischen Zugängen wecken, Vergangenheit und Gegenwart anschaulich miteinander verbinden.“ Es ist außerdem geplant, zu dem Rundgang pädagogisches Begleitmaterial zu entwickeln.

Bei der Vermittlung und der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes sollen auch in der künftigen Dauerausstellung multimediale Darstellungen mit Virtual- und Augmented-Reality-Elementen zum Einsatz kommen. Der Web-Rundgang bildet eine erste Basis dazu, die schrittweise ausgebaut werden soll.

Virtuelle Rekonstruktion der Redaktionsräume der „Bergischen Arbeiterstimme“. Foto: Excit3D GmbH

Die Erstellung des virtuellen Rundgangs durch die Firma Excit3D GmbH wurde mit Mitteln aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert. Redaktion: Armin Schulte und Daniela Tobias; Historische Fotos: Stadtarchiv Solingen; Audioguide: Schüler*innen des Humboldtgymnasiums Solingen unter Leitung von Niklas Schenk.

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