Da die Ausstellung „… und laut zu sagen: Nein.“ pandemiebedingt nicht wie geplant im Mai 2020 eröffnet werden konnte, wurden bis Mai 2021 jede Woche Teile daraus unter dem Hashtag #closedbutopen vorgestellt.
Jedes Jahr am 3. März findet in Solingen ein Gedenkgang statt, um an die Solinger Sinti und Jenischen zu erinnern, die am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort größtenteils ermordet wurden. Der Gang führt zum Mahnmal an der Korkenziehertrasse, wo an der Potshauser Straße 10 eines der beiden so bezeichneten „Zigeunerlager“ stand, in denen die Familien auf Anweisung untergebracht waren.
Die ersten reichsweiten Verhaftungen von Sinti, Roma und anderen unter „Zigeuner“ gefassten Personen war 1938 noch im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ erfolgt. Ab 1939 wurden weitere Angehörige dieser Minderheiten von der Kriminalpolizei in sogenannte Vorbeugehaft genommen und in Konzentrationslager gebracht. Den grausamen Höhepunkt langjähriger Diskriminierung und Verfolgung stellte im Dezember 1942 Heinrich Himmlers sogenannter „Auschwitz-Erlass“ zur systematischen Ermordung dar.
Auch in Solingen wurde im Juli 1938 im Stadtrat über eine angebliche „Zigeunerplage“ diskutiert.
„Die staatliche Polizei sorgt dafür, daß keine neuen Zigeuner bleiben. Sie hat aber auch so viele Aufgaben, daß man nicht dauernd einen Beamten hinter den Zigeunern herschicken kann. […] Die Männer sind meistens in Arbeit. Merkwürdigerweise sind sie bei der Arbeit fleißig und beliebt.“
Stadtrat Dr. Hofmann, Ratsprotokoll Juli 1938, Quelle: Stadtarchiv Solingen, SG 1289
Die lokalen Kripostellen hatten 1943 bei der Zusammenstellung der Deportationslisten überraschend großen Spielraum. Wer als „Zigeuner“, „Zigeunermischling“ oder „sozial angepasster Zigeuner“ eingestuft wurde, entschieden letztlich die lokalen Beamten der Kriminalpolizei. Das Reichskriminalpolizeiamt gab „lediglich“ Klassifikationskriterien vor.
Elisabeth Straub wurde so vermutlich zum Verhängnis, dass sie 1938 nach Solingen gezogen war. Sie gehörte einer Familie von Jenischen an, die seit geraumer Zeit bei Waldbröl sesshaft und von dort aus als reisende Händler tätig war. Während ihre Eltern und Geschwister von Deportationen verschont blieben, zählte man Elisabeth Straub und ihre vier Kinder Jakob (* 1938), Berta (* 1939), Edmund (* 1940) und Hans (* 1942) in Solingen zu den „Zigeunermischlingen“. Der Vater ihrer Kinder war vermutlich Johann Reinhardt. Alle kamen in Auschwitz ums Leben.
Nachdem die Solinger Sinti und Jenischen im März 1943 in das sogenannte „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau eingeliefert worden waren, beanspruchte die Stadt Solingen ihr zurückgelassenes Hab und Gut. Es wurde zwecks Begleichung angeblich bestehender Mietschulden zum Teil an Privatleute verkauft, wobei auch der erste Leiter der Solinger Gestapo-Nebenstelle Hugo Weidner günstig einen Radioapparat erstand.
Für den Obergefreiten Heinrich Reinhardt hielt der Fronturlaub im August 1943 eine böse Überraschung bereit. Er erfuhr nicht nur, dass seine Familie bereits fünf Monate zuvor nach Auschwitz deportiert worden war, auch das Inventar der elterlichen Wohnung an der Potshauser Straße 10 war bereits verkauft. Reinhardt forderte die Rückgabe, bzw. Schadensersatz für sein Eigentum, erhielt aber lediglich ein Akkordeon zurück. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.
Von den Deportierten überlebten nur wenige arbeitsfähige Personen wie Arnold Meinhard und Jakob Reinhardt. Reinhardt war von Auschwitz in das KZ Ravensbrück verlegt und von dort in eine Einheit der Waffen-SS zwangsrekrutiert worden. Er erlebte das Kriegsende in einem Lazarett bei Magdeburg und zog nach der Entlassung aus russischer Gefangenschaft zurück nach Solingen. Seine Frau, sechs Kinder und seinen Vater hatte man ermordet.
Im Rahmen der Ausstellung wurden noch einmal verschiedene Quellen miteinander abgeglichen, um die genaue Zahl der Solinger Opfer zu ermitteln. Eine endgültige Gewissheit, welche der offiziell gemeldeten Personen auch tatsächlich hier wohnten, haben wir nicht, da es sich teilweise um willkürliche Zuweisungen der Behörden an verschiedene Kommunen handelte, um die Betroffenen auf wenige Standorte zu konzentrieren. Ebenso bleibt das Schicksal einiger Personen ungeklärt, zu deren Deportation oder Verbleib keine Unterlagen vorhanden sind.
Mindestens 60 Solingerinnen und Solinger wurden am 3. März 1943 über den Bahnhof Ohligs nach Auschwitz deportiert. Die Zugangslisten des KZ Auschwitz mit dem Datum 9.3.1943 verzeichnen 51 Namen aus Solingen. Von diesen 51 starben 48 in Auschwitz, zwei im Außenlager Ellrich und ein Todesort ist unbekannt. Drei weitere Personen wurden zu einem anderen Zeitpunkt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet, so dass wir derzeit von 54 Opfern ausgehen. Unter diesen waren mit 29 Jungen und Mädchen mehr als die Hälfte Kinder unter 14 Jahren. Von sechs Männern ist bekannt, dass sie überlebten.
Quellen:
– Stadtarchiv Solingen: Ratsprotokolle (SG 1289), Wiedergutmachung Elisabeth Straub (SG 16531), Akte Verkauf des Inventars der deportierten Sinti und Jenischen (SG 7679)
– Arolsen Archives, Häftlings-Personal-Karte von Arnold Meinhard aus dem KZ Auschwitz, 01010503 oS/6604697
– Daniela Tobias: Foto Mahnmal
– Ulrich F. Opfermann: „Der Civilisation kaum ähnliche, vollständig ungebildete Völker“, in: Nevipe, Rundbrief des Rom e.V. Nr. 46 (Mai 2010)
– Armin Schulte: Jakob Reinhardt in „Man soll mich nicht vergessen!“ Stolpersteine in Solingen, Schicksale 1933-1945, Solingen 2020
– Historisches Zentrum Remscheid, Stadtarchiv, L_2_52b
Die empirische und konzeptionelle Grundlagenarbeit zur Ausstellung durch Dr. Stephan Stracke wurde mit Mitteln der Landeszentrale für politische Bildung NRW gefördert.