Da die Ausstellung „… und laut zu sagen: Nein.“ pandemiebedingt nicht wie geplant im Mai 2020 eröffnet werden konnte, wurden bis Mai 2021 jede Woche Teile daraus unter dem Hashtag #closedbutopen vorgestellt.
Änne Wagner, geb. Eckmann wurde am 16. April 1904 in Widdert geboren. Sie war verheiratet und hatte eine Tochter. In den 1980er Jahren begann sie in Zusammenarbeit mit Archivar Ralf Rogge ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Sie blätterte darin fast ein halbes Jahrhundert ihrer persönlichen Alltagserinnerungen vor dem Hintergrund sozialer und politischer Ausnahmezustände auf: von ihrer Kindheit und Jugend im „roten“ Widdert, über ihren beruflichen und politischen Werdegang in der KPD, der KPO und als Mitarbeiterin der „Bergischen Arbeiterstimme“ bis hin zur Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs.
Die kaufmännische Ausbildung bei der „Bergischen Arbeiterstimme“ hatte sich Änne Wagner erkämpfen müssen. Sie nahm dafür finanzielle Entbehrungen in Kauf. Schnell wurde sie im Verlag und in der Druckerei mit verschiedensten Aufgaben betraut und auch zunehmend in die politische Arbeit der KPD eingespannt. Ihr persönliches Interesse galt vor allem der Jugendarbeit und den Naturfreunden.
Hinweis: Die Qualität der Tonaufnahmen ist leider nicht sehr gut, daher finden Sie unter dem Audioplayer jeweils ein Transkript zum Nachlesen.
Transkript: Änne Wagner über die Arbeit mit kommunistischen Kinder- und Jugendgruppen.
"Die Kinder, das waren alles Arbeiterkinder, Kinder durchweg von Genossen, aber nicht nur, die brachten dann ja auch Kinder aus ihren Schulklassen. Und die Kinder kamen sehr regelmäßig und waren auch sehr glücklich, dass man sich mit ihnen beschäftigte. Es wurden Schulprobleme besprochen. Um die Weihnachtszeit, im Winter, hatten wir immer einen kolossalen Zulauf, dann verdoppelte sich praktisch die Gruppe, weil wir Weihnachtsfeiern machten und die Kinder beschenkten. Die Kinder waren ja so arm damals, 1922. Die Erwachsenen litten, aber die Kinder litten ja doppelt. Die hatten kaum ordentliches Schuhwerk, es gab noch gar nicht so viel an Kleiderkäufen, es war so verschlissen, die Kinder waren sehr ... Ein Kind mit einem Badeanzug, dass wir schwimmen gehen konnten, hatten die Kinder nicht, und dann gingen wir durch sämtliche Geschäfte in Solingen und sammelten ein. Und die jüdischen Geschäfte, die waren ja sehr freigiebig. Wenn wir sagten, wir kommen vom kommunistischen Jugendverband und sammeln für die Kinder für die Weihnachtsfeier, die hatten immer derart viel angesammelt."
Quelle: Interview mit Änne Wagner von Ralf Rogge, Stadtarchiv Solingen
Transkript: Änne Wagner über die Situation der Frauen in der Arbeiterschaft.
"In erster Linie lag mir auch die Frauenbewegung sehr am Herzen, weil ich doch durch die Arbeiterkorrespondentenbewegung hier in Solingen immer in die Betriebe geschickt wurde zu den Frauen und die Berichte schreiben musste oder wenigstens die Unterlagen für die Berichte liefern musste, und dann doch immer sah, was los war, wie die Männer im Gegensatz..., die Frauen konnten ja im Betrieb gar keine Erfolge verzeichnen, weil ja noch nicht mal die organisierten Männer zu denen standen. Wer unterstützte denn die Frauen bei irgendeinem Kampf? Die Männer sahen zu, wenn die Frauen 30 Prozent oder sogar 40 Prozent weniger Lohn für die gleiche Arbeit bekamen und halfen den Frauen doch gar nicht. Und da habe ich auch immer mit ihnen… ja, wie willst du das machen? Ja, in erster Linie müssen ja die Frauen mal erst geschult werden. Ja, Frauen die bis abends im Betrieb stehen, kannst du nicht mehr schulen, dann haben sie den Haushalt zu machen. Ja, ich sag, sicher, so sind die meisten Genossen ja auch eingestellt, die sagen zwei können nicht politisch tätig sein, ich will ja auch noch meine Ruhe zu Hause haben. – Breitenarbeit sollte geleistet werden und überparteiliche Organisationen geschaffen werden, das sollte auch der rote Frauen- und Mädchenbund sein, war es aber praktisch nicht. Das waren die Parteigenossinnen, die in Uniformen gesteckt wurden, das war der rote Frauen- und Mädchenbund. Das konnten verschiedene sein, ein paar die ihren… vielleicht sogar die Männer auch im RFB waren, die dazukamen, aber es war praktisch die Richtung. Aber dadurch Mitglieder zu gewinnen und Frauen zu interessieren für die Fragen, die wirklich offen standen für die Frauen damals, dazu war das doch überhaupt nicht geeignet. Das, was ich an Material bekam, da habe ich mich von Anfang an gegen gewehrt."
Quelle: Interview mit Änne Wagner von Ralf Rogge, Stadtarchiv Solingen
Links: Die „Bergische Arbeiterstimme“ hatte an der Hochstraße 23 (heute Am Neumarkt) im Erdgeschoss die Anzeigenabteilung und die Buchhandlung, in der ersten Etage die Redaktion, Quelle: Stadtarchiv Solingen, BASt vom 27. Juni 1925; Rechts: Änne Wagner, geb. Eckmann, in der Buchhandlung der „Bergischen Arbeiterstimme“, Quelle: Stadtarchiv Solingen, RS 27953
Transkript: Änne Wagner über die Zeiten, als die Gewerkschafter noch nicht politisch gespalten waren.
"Sehen Sie mal, am ersten Mai, das ist noch gewesen bis 1924/25, am ersten Mai im Gewerkschaftshaus, morgens waren die Riesendemonstrationen, abends dann traf man sich im Gewerkschaftshaus im großen Saal, und der alte Fritsche, um acht Uhr dann setzte sich der Fritsche ans Klavier, stand auf, guckte mal, dann setzte er sich ans Klavier und spielte auf, Sozialisten, Kommunisten, Sozialdemokraten, überall durcheinander an den Tischen, das war damals so. Das waren ja Gewerkschafter, da fühlten sie sich noch zusammengehörig als Gewerkschafter, verstehen Sie? Die hatten nie damals so Feindseligkeiten wie das dann später durch die kommunistische und auch durch die sozialdemokratische Zeitung von oben herunter geschürt wurde, und da sind die Gegensätzlichkeiten…, aber ich weiß noch, da war ich ja schon aus der Partei ausgeschlossen, 1932 haben wir gegenseitig unsere, wie die Wahl war im März, gegenseitig unsere Plakate geschützt, SPD und Kommunisten zusammen."
Quelle: Interview mit Änne Wagner von Ralf Rogge, Stadtarchiv Solingen
1929 wurde Änne Wagner zusammen mit anderen Funktionären und Stadtverordneten, denen man parteischädigendes Verhalten vorwarf, aus der Partei ausgeschlossen. Die Gruppe war der Ansicht, dass man die Arbeiterschaft nicht durch einen Absolutheitsanspruch der KPD für die gemeinsame Sache gewinnen könne. In der Folge verlor Änne Wagner auch ihren Arbeitsplatz. Die Ausgeschlossenen gründeten zwar eine Gruppe der Kommunistischen Partei-Opposition (KPO), konnten bei der kommenden Kommunalwahl aber lediglich 1,9 % der Stimmen erzielen.
Transkript: Änne Wagner über die Einschüchterung der Bevölkerung durch die NS-Propaganda zum 1. Mai 1933.
"Wissen Sie, was schlimm war? Das war ja so: am 1. Mai, dann war es ja üblich, dass alles rot, besonders in den Arbeitervierteln rot geflaggt war. Jetzt wurden die Leute gezwungen Hakenkreuzfahnen rauszutun. Das war eine derartige… eine Hetze von den Nazis, dass also, in jedes Fenster gehört ein Nazifähnchen, die wurden verteilt, die Papierfähnchen wurden gebracht, die roten Fahnen mit Aufdruck mit dem Hakenkreuz, und die sollten ins Fenster gestellt werden. Und da waren viele, viele Leute, die da in den Arbeitervierteln schwer in Druck gekommen sind. Hingen sie es nicht heraus, wurden sie sofort angesehen als feindlich, hingen sie sie raus, wurden sie von ihren Genossen verachtet, die das machten. Das ist ganz schlimm gewesen. Und bis 34 war das Volk kusch, kann man wohl sagen. Da waren sie schon so deprimiert, sie sahen, dass es vollkommen falsch gewesen war, dass sie sich dagegen nicht zur Wehr gesetzt hatten. Das sahen sie ein, aber da war es zu spät."
Quelle: Interview mit Änne Wagner von Ralf Rogge, Stadtarchiv Solingen
Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, wurde Änne Wagners Wohnung im März 1933 von Beamten der Politischen Polizei durchsucht. Allerdings waren sie wohl auf der Suche nach ihrem geschiedenen Ehemann, dem KPD-Funktionär Max Adrion.
Im Mai 1937 gab es eine Verhaftungswelle von KPO-Sympathisanten. Im Februar 1938 wurde Änne Wagner selbst vorgeladen und vier Tage im Düsseldorfer Stadtgefängnis festgehalten. Sie erfuhr immer wieder von Verhaftung, Folterung und Ermordung ihrer politischen Wegbegleiter und Freunde, wie Paul Happe und Josef Becker.
„Wieviele Gefangene, Genossen und Freunde, hatten vor mir hier schon die gekalkten Wände verzweifelt angestarrt, an denen ich nun allerlei Kritzeleien entdeckte. Ich schalt mich selbst, weil ich weder Papier noch Bleistift eingesteckt hatte.“
Änne Wagner über ihre Verhaftung 1938
1938 heiratete Änne Wagner und zog sich weitgehend ins Privatleben zurück. Erst im Alter begann sie, ihre Erlebnisse bei Veranstaltungen von Naturfreunden und Gewerkschaften zu erzählen.
Quellen: – Änne Wagner: „Gegen den Strom? Lebenserinnerungen 1904–1945“, Solingen 2000 – Interview mit Änne Wagner von Ralf Rogge, Solinger Stadtarchiv
Die empirische und konzeptionelle Grundlagenarbeit zur Ausstellung durch Dr. Stephan Stracke wurde mit Mitteln der Landeszentrale für politische Bildung NRW gefördert.