Da die Ausstellung „… und laut zu sagen: Nein.“ pandemiebedingt nicht wie geplant im Mai 2020 eröffnet werden konnte, wurden bis Mai 2021 jede Woche Teile daraus unter dem Hashtag #closedbutopen vorgestellt.
Carl Friedrich Goerdeler kam am 31. Juli 1884 in Schneidemühl in der Provinz Posen zur Welt. Der studierte Jurist aus einer Beamtenfamilie hatte mit seiner Frau Anneliese fünf Kinder.
Sein administratives Handwerk lernte Goerdeler in Solingen, wo er nach 1911 sehr schnell vom Hospitanten zum juristischen Beigeordneten, dem Vertreter des Oberbürgermeisters August Dicke, aufstieg. In der Industriestadt Solingen lernte der westpreußische Bildungsbürger die rheinische Bürgermeisterverfassung sowie eine vorwiegend liberale Stadtverordnetenversammlung mit starker Sozialdemokratie kennen. Zu seinen Arbeitsgebieten gehörten das Armenwesen, die Volksschule, die Reichsversicherungsordnung und zuletzt die Kriegsopferversorgung. Aufgrund dieser Erfahrungen wurde er 1920 zum Zweiten Bürgermeister von Königsberg, 1930 zum Oberbürgermeister von Leipzig gewählt.
Goerdeler, bis 1931 DNVP-Mitglied, war Ende der 1930er Jahre nach seinem Rücktritt als Oberbürgermeister von Leipzig der führende Zivilist im Widerstand. In Ergänzung zu den Militärs, die erst am 20. Juli 1944 das Attentat gegen Hitler ausführten, sammelte er eine breite zivile Opposition um sich: Konservative, katholische Zentrumsvertreter, Liberale, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Kirchenvertreter, sowie Verbindungen mit führenden Generälen und ins Ausland – aber unter Ausschluss der Kommunisten. Den Tyrannenmord hatte er lange als Mittel des Widerstands abgelehnt, akzeptierte ihn spätestens seit 1943 jedoch. Er erachtete die Wiederherstellung des menschlichen Anstands als das Grundproblem im NS-System.
„Lest die amtlichen Urkunden zum ersten Weltkriege, macht sie zum Gegenstande des Unterrichtes in den Schulen, diese Vergiftung muss aus den Köpfen und der Seele des Volkes heraus. […] sonst kann es ja die Jugend später nicht besser machen, sondern verfällt dem Hass, der Verzweiflung, der Unfruchtbarkeit!“
Dr. Carl Goerdeler im November 1944 über die verheerende Wirkung der Dolchstoßlegende, in Horst Sassin: Carl Goerdeler, Hitlers Widersacher in der Solinger Kommunialpolitik 1911 bis 1920
Bereits eine Woche vor dem Attentat Stauffenbergs auf Hitler wurde Goerdeler per Haftbefehl gesucht. Nach einer Warnung floh er nach Westpreußen, wo er im August 1944 verhaftet werden konnte. Nachdem die Fahndung nach Goerdeler bekannt geworden war, berichtete der Sicherheitsdienst der SS, dass seine Mitwirkung an der Widerstandsbewegung im Volk Zweifel an der NS-Propaganda von der „kleinen Verschwörerclique“ und vom Sieg Deutschlands weckte. Erst jetzt erkannte die Gestapo, dass er von den Verschwörern als Kanzler vorgesehen war. Goerdeler wurde vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt, aber erst am 2. Februar 1945 nach monatelangen weiteren Verhören in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Als die demokratische Solinger Stadtverwaltung nach dem Krieg der Witwe Anneliese Goerdeler Unterstützung anbot, reagierte sie generös: „Angesichts der schweren Lage der Arbeiterschaft im Industriegebiet möchte ich keinen Gebrauch von Ihrem freundlichen Angebot machen. Möge das Einsehen aller Mächte auch dem fleißigen Bergischen Land wieder einen Aufstieg ermöglichen.“
1952 benannte die Stadt Solingen eine Straße nach Carl Goerdeler. 2007 wurde an der Birkerstraße 5 ein Stolperstein für ihn verlegt. 2014 zeigte das Rathaus eine Ausstellung zum Widerstand im Nationalsozialismus, zu der der Enkel Berthold Goerdeler Fotos beisteuerte und einen Vortrag hielt.
Quellen:
– Armin Schulte: Stolpersteinbiographie Dr. Carl Friedrich Goerdeler in „Man soll mich nicht vergessen!“ Stolpersteine in Solingen, Schicksale 1933-1945, Solingen 2020
– Horst Sassin: Vor 100 Jahren – Carl Goerdelers kommunalpolitischer Start in Solingen, in: Die Heimat, Heft 27, Solingen 2012
– Horst Sassin: Carl Goerdeler – Hitlers Widersacher in der Solinger Kommunalpolitik 1911 bis 1920, Göttingen 2013
– Familie Goerdeler: Foto Carl und Ulrich Goerdeler
– Bundesarchiv: Dr. Carl Goerdeler vor dem Volksgerichtshof, Bild 151-25-14 / CC-BY-SA 3.0
– Chronos History: „Geheime Reichssache – die Angeklagten des 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof“, YouTube (ab Min. 57:43)
– Stadtarchiv Solingen: Brief der Witwe Anneliese Goerdeler an Gerhard Berting 1947, SG 4570 A
Die empirische und konzeptionelle Grundlagenarbeit zur Ausstellung durch Dr. Stephan Stracke wurde mit Mitteln der Landeszentrale für politische Bildung NRW gefördert.