#closedbutopen Nürnberger Rassegesetze

Da die Ausstellung „… und laut zu sagen: Nein.“ pandemiebedingt nicht wie geplant im Mai 2020 eröffnet werden konnte, wurden bis Mai 2021 jede Woche Teile daraus unter dem Hashtag #closedbutopen vorgestellt.

Das „Blutschutzgesetz“ und das Reichsbürgergesetz bildeten die Nürnberger Rassengesetze, die am 15. September 1935 beschlossen wurden. Sie waren die juristische Grundlage dafür, bestimmte Gruppen als nicht mehr „deutschblütig“ zu definieren und ihnen so staatsbürgerliche Rechte abzusprechen. Der Umgang mit sogenannten „Mischehen“ und „Halbjuden“ war für den NS-Apparat allerdings von Beginn an ein heikles Thema, betraf er doch auch zahlreiche familiär verbundene „Arier“, die die neuen Vorschriften keinesfalls ohne Widerspruch hinnahmen, sondern sich für ihre Verwandten einsetzten.

Eine gemeinsame Lobby gab es für die Betroffenen, die je nachdem in jüdischer, christlicher oder konfessionsloser „Mischehe“ lebten, jedoch nicht. In welchem Maße „Mischlinge“ in die Verfolgung einbezogen werden sollten, blieb bis zum Schluss eine Streitfrage zwischen den ideologischen Hardlinern und den eher pragmatischen Kräften unter den NS-Funktionären. Für die Betroffenen war es daher schwierig abzuschätzen, wie sich die Bedrohung für sie entwickeln würde und welche Maßnahmen sie treffen konnten, um sich so gut wie möglich zu schützen.

Bildtafel zum „Blutschutzgesetz“, Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Hillel at Kent State

Ein außergewöhnlicher Fall betrifft den Solinger Schreiner Constantin A. Er entging 1939 zwar einer Anklage wegen „Rassenschande“, weil er nach der Scheidung von seiner „halbjüdischen“ Ehefrau Elfriede wieder Kontakt mit ihr hatte, bekam aber dennoch keine erneute Heiratserlaubnis und durfte nicht weiter mit ihr geschlechtlich verkehren.

„Weiter ist mir mitgeteilt worden, dass der Herr Reichsminister unverändert den Standpunkt vertritt, dass meine geschiedene Frau als Jüdin im Sinne des Blutschutzgesetzes anzusehen ist. Ich bin nachdrücklich darauf hingewiesen, dass ich Gefahr laufe wegen Rassenschande bestraft zu werden, wenn ich in Zukunft noch mit meiner geschiedenen Frau geschlechtlich verkehre.“

Erklärung von Constantin A., Quelle: Landesarchiv NRW Rheinland, Gerichte Rep. 29 Nr. 119

Auch die Behandlung und Verfolgung von Kindern aus einer „Mischehe“ hing von verschiedenen Faktoren ab. Die beiden 1919 und 1922 geborenen Söhne von Albert Tobias – Albert Ernst und Siegfried Tobias – wurden erst 1934 als Jugendliche evangelisch getauft. Im selben Jahr verließen sie vorzeitig das Humboldtgymnasium, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch keine Verordnung gab, die das verlangt hätte. Albert Ernst begann eine Ausbildung zum Textilkaufmann, Siegfried wechselte auf die Volksschule Altenhofer Straße.

Nach Abschluss seiner Ausbildung wurde Albert Ernst Tobias regulär zum Arbeitsdienst und anschließend zum Militärdienst verpflichtet. Im April 1940 entließ man ihn, nachdem ein neuer Erlass „Halbjuden“ aus der Wehrmacht ausschloss. Siegfried Tobias wurde im Oktober 1941 trotz des Ausschlusses von „Mischlingen ersten Grades“ noch Rekrut, vermutlich unerkannt. Als Bordfunker kam er im Herbst 1942 nach Russland. Hier fiel wohl im Rahmen einer Beförderung seine teil-jüdische Herkunft auf, und man schickte ihn im Dezember 1942 zurück nach Solingen.

Albert Ernst Tobias im Februar 1940 bei der Wehrmacht in Elblag. Quelle: Familie Tobias


Warum die beiden Tobias-Brüder nicht, wie eigentlich üblich, ab 1944 in Arbeitslager verschleppt wurden, ist nicht bekannt. Ihre Mutter stellte nach dem Krieg dem ehemaligen Walder NSDAP-Funktionär Josef Nicolini einen „Persilschein“ für seine Unterstützung aus. Möglicherweise hatte er die beiden in seinem Betrieb dienstverpflichtet.

„Im Zuge der Endlösungsvorhaben sollen die Nürnberger Gesetze gewissermaßen die Grundlage bilden, wobei Voraussetzung für die restlose Bereinigung des Problems auch die Lösung der Mischehen- und Mischlingsfragen ist.“

Protokoll der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942

Der Futtermittelhändler Nicolini hatte auf dem Wege der Dienstverpflichtung auch versucht, dem „deutschblütigen“ Max Wagner zu helfen, dessen beide Söhne Egon und Artur zusammen mit seiner geschiedenen jüdischen Frau aus Düsseldorf nach Lodz/Litzmannstadt deportiert worden waren. Die Anforderung der Jungen wurde zwar an die Gestapo in Lodz übermittelt, blieb aber letztlich erfolglos.

Im Mai 1942 verhinderte das schwebende Verfahren noch, dass die Kinder aus dem Getto „ausgesiedelt“ und getötet wurden, aber im Dezember 1942 erreichte den verzweifelten Vater die Nachricht, dass Egon und Artur bereits im September zu einem Arbeitseinsatz „nach Osten“ abkommandiert und während des Transports verstorben seien. In Wahrheit gehörten die Brüder zu den Tausenden Kindern aus dem Getto, die nach einer „Räumungsaktion“ in Chelmno/Kulmhof in LKW vergast worden waren.


Quellen:
– United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Hillel at Kent State, Bildtafel zum „Blutschutzgesetz“
– Landesarchiv NRW Rheinland, Gerichte Rep. 29 Nr. 119, Gerichtsakte Constantin A.
– Familie Tobias, Privataufnahmen
– Staatsarchiv Lodz APL PSZ Sig. 39/278/0/19/1291, Bl. 1032 und 1033, Eingabe Egon und Artur Wagner

Die empirische und konzeptionelle Grundlagenarbeit zur Ausstellung durch Dr. Stephan Stracke wurde mit Mitteln der Landeszentrale für politische Bildung NRW gefördert.

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