Wie genau der Sternenhimmel der Solinger Synagoge ausgesehen hat, wissen wir nicht, aber dass es einen gab, das wurde durch Zeitzeugen überliefert. Einen Blick in die Kuppel des 1938 zerstörten G’tteshauses kann man nun beim Besuch des virtuellen Modells werfen, das die Firma Excit3D GmbH für das Max-Leven-Zentrum in den letzten Monaten anhand von Bauplänen und historischen Fotos ehrenamtlich rekonstruiert hat.
Am Donnerstag wurde es der Presse vorgestellt. Werner Koch und sein Team von Excit3D hatten dazu verschiedene Brillen für Virtual- und Augmented-Reality-Anwendungen mitgebracht. Mit der VR-Brille tauchte man in vergangene Zeiten, als an der Stelle des Bunkers die 1872 eingeweihte Synagoge an der Malteserstraße stand, und konnte sich an verschiedenen Punkten im Raum in alle Richtungen umschauen, den reich verzierten Thoraschrein bewundern oder auf die Empore steigen.
Das Ewige Licht vor dem Thora-Schrein gehört wie der Sternenhimmel zu den Details, zu denen genaue Überlieferungen fehlen. Innenaufnahmen gibt es von der Synagoge keine. Excit3D behalf sich mit dem Ewigen Licht aus der Synagoge von Oświęcim als Platzhalter. Auch das Harmonium, auf dem Helene Sternsdorff und Wilhelmine Leven spielten, ist ein Standardmodell, das bereits als fertige 3D-Konstruktion existierte.
Dass die äußeren Ziegelmauern grau-beige waren, ähnlich wie an der Lutherkirche, bestätigte nicht nur Bella Tabak Altura, die 1931 in Solingen geboren wurde und heute in Florida lebt. An die Innenausstattung hat sie keine allzu genauen Erinnerungen mehr. Wesentlich präsenter ist ihr dagegen die Erinnerung an den Vater Sally Tabak, der eine besonders schöne Stimme hatte und beim Shabbat-G’ottesdienst mit dem Kantor Jakob Okunski darum wetteiferte, wer am kräftigsten singen konnte.
Cornelia Kasper, kommissarische Schulleiterin des Gymnasiums Schwertstraße, war beeindruckt von der Umsetzung. „Das wird die Schülerinnen und Schüler sicher sehr ansprechen und ganz neue Zugänge ermöglichen, Geschichte zu vermitteln.“ Oberbürgermeister Tim Kurzbach zeigte sich ebenfalls froh und dankbar, dass mit diesem Projekt die Schönheit jüdischen Lebens und jüdischer Kultur sichtbar wird. Er sieht das 3D-Modell als Chance Jugendliche zur Auseinandersetzung mit den Erinnerungsorten und ihren Menschen zu motivieren.
Momentan finden sich auf der Projektwebseite zum Festjahr 150 Jahre Solinger Synagoge eine Filmsequenz mit einem Flug um die Synagoge und durch den Innenraum sowie der Link zu einer browserbasierten Web-Darstellung für Desktop-Bildschirme. Die mobile Version ist noch in Arbeit. Auch ein VR-fähiger 360°-Rundgang soll zukünftig über die Webseite zugänglich sein. Ein freier Rundgang im VR-Modell wird nur mit Begleitung durch Excit3D und das Max-Leven-Zentrum möglich sein. Hier sind zukünftig sogar gemeinsame Führungen durch den digitalen Raum denkbar.
Erste praktische Einsätze des Modells sind für den Antirassismustag „frei, gleich und laut“ am 25. Mai 2022 im Haus der Jugend und beim Auftakt-Workshop zur Heimatwerkstatt „Synagoge Solingen – Bunker Malteserstraße“ am 17. Juni 2022 im Zentrum für verfolgte Künste geplant. Im Rahmen der vom Innenministerium des Landes NRW geförderten Reihe soll es bis in den Herbst hinein in insgesamt vier Workshops um verschiedene Themen rund um jüdisches Leben gestern und heute gehen, sowie um die zukünftige Gestaltung und Nutzung des Bunkers als Erinnerungsort.
Sämtliche Arbeiten an der virtuellen Solinger Synagoge wurden in einem viermonatigen Entstehungsprozess von der EXCIT3D GmbH für schulische Zwecke und als Beitrag zur Erinnerungsarbeit auf eigene Kosten durchgeführt. An den bisherigen Arbeiten waren ein App-Entwickler und drei 3D-Artists beteiligt sowie ein freier Mitarbeiter von Excit3D, der in Charkiw in der Ukraine lebt und arbeitet. Seit dem 24. Februar 2022 ist der Kontakt, trotz aller Bemühungen, abgerissen. Wir hoffen inständig, dass ihm und seiner Familie nichts zugestoßen ist.
Presse
- „Ehemalige Synagoge gibt es jetzt in 3D“ (Solinger Tageblatt, 26.03.2022)
- „Virtuell in der Solinger Synagoge“ (WDR Lokalzeit Bergisches Land, 25.03.2022)