Wohnung der Familie Leven
Der Kaufmann und Kulturkritiker der „Bergischen Arbeiterstimme“ Max Levy, genannt Leven wurde am 12. Juni 1882 in Diedenhofen (Thionville) geboren, war verheiratet und hatte drei Kinder. Er kam 1916 aus Krefeld nach Solingen, weil er hier eine Stelle als Buchhalter bei der Abraham Feist Companie fand. Leven wechselte häufig die Arbeitsstellen. Das Zeilenhonorar, das er ab 1919 für Rezensionen in der → „Bergischen Arbeiterstimme“ (BASt) bekam, reichte nicht für einen Lebensunterhalt.
Im Mai 1922 zog die Familie in die Wohnung an der Hohen Gasse 6a, und damit in dasselbe Haus, in dem bis zum selbem Monat auch der → SPD-Politiker und ehemalige BASt-Redakteur Hugo Schaal mit seiner Familie gelebt hatte. 1926 konnte Max Leven bei der BASt zusätzlich als Bilanzbuchhalters arbeiten. Gesundheitlich hatte er mit den Spätfolgen einer Syphilis-Infektion zu kämpfen, die schließlich zu seiner völligen Arbeitsunfähigkeit führten. Nach 1930 erschienen keine Artikel mehr von ihm.
Politisch folgte Max Leven der Linie der BASt, trat 1918 der USPD bei und folgte später zur → KPD. Seine Rezensionen waren zunächst noch völlig der Kunst gewidmet und folgten seiner Leidenschaft für die großen Meister der klassischen Musik, die er den Arbeiterchören ans Herz legte. Ab 1924 verlegte sich sein Augenmerk jedoch von der künstlerischen Qualität auf die Wirksamkeit im Sinne sowjetischer Agitationspropaganda.
Als Max Leven nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 12. April 1933 erstmals in sogenannte „Schutzhaft“ genommen wurde, war er bereits seit längerer Zeit Invalide. Er verbrachte mehrere Monate im berüchtigten KZ Kemna. 1936 wurden er und seine Frau erneut verhaftet, da man sie einer angeblichen kommunistischen Verschwörungsgruppe zurechnete. Die Anschuldigungen konnten jedoch nicht aufrecht erhalten werden.
In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 entlud sich der Hass auf den Juden und Kommunisten Max Leven in tödlicher Weise. Nach Mitternacht drangen vier Mitglieder der NSDAP, die allesamt nach 1933 mit auskömmlichen Posten versorgt worden waren, in die Wohnung der Levens ein. Darunter waren der Kreispropagandaleiter Arthur Bolthausen und der Hausmeister der benachbarten → AOK Armin Ritter, die beide an der Kölner Str. 49-51 wohnten. Die Männer verwüsteten die Wohnung und schüchterten das Ehepaar ein. Armin Ritter zog schließlich eine Pistole, bedrohte Max Leven und schoss ihm in den Kopf. Danach ließen die Männer die völlig verstörte Emmy Leven allein mit dem Sterbenden zurück.
Im Juli 1949 wurde Armin Ritter, der nach dem Krieg zunächst untergetaucht war, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Totschlag zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der Richter berücksichtigte eine „Affektinkontinenz“ des Angeklagten, die angeblich von einem Schädelbruch herrührte, den er sich 1930 bei einer Auseinandersetzung mit Kommunisten zugezogen hatte.
Horst Sassin / Daniela Tobias
KPD-Büro
Nach der Novemberrevolution 1918 und der Ausrufung der Republik konstituierte sich die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). In Solingen fand diese vor allem unter den Mitgliedern und Wählern der USPD Anhänger, die sich zuvor von der → Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) abgespalten hatten. Am 4./5. September 1920 stimmte die große Mehrheit der Solinger USPD für den Anschluss an die „Kommunistische Internationale“ in Moskau. Die → Bergische Arbeiterstimme (BASt) wurde zu ihrem Organ. Seit dem Übertritt war die KPD die dominierende Arbeiterpartei im Solinger Industriebezirk. Bei der Landtagswahl vom 20. Februar 1921 erzielte sie 33,3 % der Stimmen und konnte diesen hohen Anteil bis zur Reichstagswahl vom 6. November 1932 auf 41,4 % steigern.
Diese dominierende Position der KPD am Ende der Weimarer Republik machte Solingen zu einer Ausnahme unter den deutschen Großstädten. Die KPD war von ihrem Selbstverständnis keine demokratische Partei und bekannte sich auch nicht zum Weimarer Staat oder seiner Verfassung. Sie erstrebte eine revolutionäre Veränderung der ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnisse, ein Staatswesen nach sowjetischem Muster. Der Kurs der Solinger Partei wurde oft genug vom Zentralkomitee in Berlin oder von Moskau aus bestimmt. In Solingen waren es neben dem hauptamtlichen Parteisekretär die Redakteure der BASt, die die vorgegebene politische Richtung umzusetzen hatten.
Eine besondere Form des politischen Protestes waren die von der KPD getragenen Aktionen der Erwerbslosen: Als am 17. November 1923 in Ohligs Erwerbslose von den Stadtverordneten die Erhöhung der Unterstützungssätze verlangten, schoss die Schutzpolizei in die aufgebrachte Menge und tötete zwei Arbeiter. Die Beerdigung der Opfer des „Schwarzen Samstags“ wurde mit 40.000 Menschen zu einer der größten Demonstration in Geschichte des Solinger Bezirks.
Im Januar und Februar 1924 kam es in der Solinger Industrie mit Unterstützung der KPD zu einem erneuten Generalstreik mit Beteiligung von bis zu 20.000 Arbeitern. Die Arbeitsniederlegung endet mit einer verheerenden Niederlage der Streikenden: per Schiedsspruch wurde die Arbeitszeit von 48 Stunden auf 57 ½ Wochenstunden heraufgesetzt. Der „Solinger Industriearbeiterverband“, die Gewerkschaft der Heimarbeiter, war praktisch bankrott und ging 1925 im → Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) auf.
Die Jahre 1924 bis 1928 waren in Alt-Solingen politisch von dem auf Ausgleich bedachten liberalen Bürgermeister August Dicke geprägt. Obwohl seit 1924 eine absolute Mehrheit des „Solinger Bürgerblocks“ im Stadtparlament bestand, wurde der Kommunist Ernst Hahnenfurth im August 1924 zum Beigeordneten gewählt. In diese Zeit fällt der wohl größte politische Erfolg der KPD in den Weimarer Jahren, als es ihr zusammen mit der SPD im Juni 1926 gelang, im Volksentscheid über die Fürstenenteignung 61,1 % der Solinger Wähler für die Enteignung zu gewinnen. Repräsentant der ausgleichenden Politik der KPD war der Intellektuelle Ernst Becker, der im Herbst 1926 Redakteur der BASt und Leiter des Unterbezirks Solingen wurde.
Die auf Geheiß der Kommunistischen Internationale 1928 zu vollziehende Linkswendung der KPD wurde von Ernst Becker kritisiert. Er und Mitstreiter wie der Gewerkschafter Walter Rautenbach wurden Ende 1928/Anfang 1929 aus der Partei ausgeschlossen, Becker als Chefredakteur der BASt entlassen. Die Gruppe schloss sich daraufhin der → „Kommunistischen Partei-Opposition“ (KPO) an. Die Mehrheit der Parteimitglieder und Wähler blieb jedoch der KPD in traditioneller Disziplin verbunden. Als Parteiführer und Chefredakteur der BASt folgte Hermann Weber, ein kompromissloser Befürworter der offiziellen Parteilinie, der zur Disziplinierung der Mitglieder vor dem verordneten Mittel von Parteiausschlüssen nicht zurückschreckte.
Weber stellte seit 1929 den Kampf um die Vorherrschaft in den → Gewerkschaften und gegen die SPD, die als „Sozialfaschisten“ diffamiert wurden, in den Mittelpunkt der politischen Aktivitäten der KPD. Im Frühjahr 1929 eskalierte der Streit. Die Solinger Gewerkschaftsführer wurden von der SPD-dominierten Zentrale des DMV in Stuttgart abgesetzt und durch SPD-Kommissare ersetzt. Die kommunistischen Kräfte formierten sich im Sommer 1930 als „Einheitsverband der Metallarbeiter“ neu, der der „Roten Gewerkschaftsopposition“ (RGO) angeschlossen war. Die Solinger Gewerkschaften, bei denen der DMV stärkste Kraft blieb, waren durch diese Spaltung weitgehend paralysiert. Die bis 1933 durchgeführten Streiks mündeten zumeist in schweren Niederlagen.
Seit Mai 1929 kam es im Zuge des Vorgehens der Preußischen Regierung gegen die KPD auch in Solingen zu Haussuchungen bei KPD-Funktionären und von Partei- und Redaktionsbüros.
In der Kommunalwahl vom 17. November 1929 standen die KPD und die SPD, die sich gegenseitig heftig befehdeten, der „Bürgerlichen Wahlgemeinschaft“ gegenüber. Die KPD erreichte 33,9 %, die SPD 13,7 % und die Bürgerliche Wahlgemeinschaft 34,4 % der Stimmen. Tatsächlich setzte die KPD in der Folgezeit auf den Druck der Straße, auf die direkte Aktion, und rief zu Demonstrationen auf, um ihre Zielsetzungen zu unterstützen. So auch zur Durchsetzung der Winterbeihilfe für Erwerbslose, die kurz vor Weihnachten 1929 mit der Mehrheit der Stadtverordneten angenommen wurde.
Im Vorfeld der anstehenden Wahl des Oberbürgermeisters kam es weder zu Wahlbündnissen zwischen KPD und SPD noch zwischen SPD und Bürgerlichen. In einem politischen Ränkespiel ohnegleichen wurde der Kommunist Hermann Weber dann jedoch am 22. Januar und am 25. März 1930 gleich zweimal mit den Stimmen von KPD, SPD und KPO zum ersten kommunistischen Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt gewählt. Nach der ersten Wahl verweigerte Weber die Unterzeichnung einer ihm staatlicherseits vorgelegten Loyalitätserklärung und wurde von der Preußischen Regierung nicht bestätigt. Nach der zweiten Wahl setzte die Preußische Regierung an seiner Stelle den Sozialdemokraten Josef Brisch als Staatskommissar ein und schaltete damit die kommunale Selbstverwaltung aus. Bei der Wahl Webers hatte die SPD offensichtlich auf dessen Nichtbestätigung gesetzt, die KPD hingegen hatte wohl nie mit seiner Bestätigung gerechnet. Ihr war es in erster Linie um die Diskreditierung der SPD bestellt gewesen. Ohnehin schien man der Frage aufgrund der Erwartung einer bald bevorstehenden Revolution wenig Bedeutung zu schenken.
In der Folge verlor die Stadtverordnetenversammlung aufgrund der „Regierungsweise“ von Oberbürgermeister Brisch fast völlig an Bedeutung. Die von der KPD angestrengten Kraftproben gingen sämtlich verloren, ein 1931 per Urabstimmung angestrebter Streik gegen die Senkung der Löhne der städtischen Straßenbahner, bislang politisch besonders der KPD verbunden, misslang. Der Historiker Volker Wünderich schreibt: „So ließ die Krise eine weitgehend entmobilisierte Arbeiterbewegung ohne politische Perspektiven zurück; über die dann der Faschismus hereinbrach.“
Nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 setzten willkürliche Verhaftungen gegen Kommunisten und Sozialisten ein. Auch in Solingen gehörten die Funktionäre und Aktivisten der KPD zu den ersten Opfern des NS-Staates. In den nicht mehr freien Wahlen zum Reichstag und zum Preußischen Landtag vom 5. März 1933 erreichte die KPD noch einmal jeweils 35,9 % der Stimmen, bei der Kommunalwahl vom 12. März 1933 immerhin noch 31,6 %. Vor Zusammentritt der Versammlung wurden die KPD-Stadtverordneten jedoch wegen des „Verdachts auf Hochverrat“ am 22. März 1933 ausgeschlossen.
Die von den ersten Massenverhaftungen bereits geschwächte KPD versuchte in den folgenden Jahren, ihre Parteiorganisation auch in der Illegalität aufrechtzuerhalten. Flugblätter und Zeitungen wurden gedruckt, Mitgliedsbeiträge auch weiterhin kassiert. Mittels zahlreicher Verhaftungen und einer Vielzahl von Prozessen gelang es den Nationalsozialisten jedoch in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre, den kommunistischen Widerstand in Solingen fast vollständig zu brechen. Versuche, den Widerstand erneut zu beleben, blieben Anfang der 1940er Jahre ohne größeren Erfolg und wurden zumeist aufgedeckt. Viele Kommunisten bezahlten ihren Widerstand mit Verhaftungen, Folter, langen Haftstrafen oder dem Verlust ihres Lebens. Einige suchten Exil in den westlichen Nachbarländern, kämpften für die Republik in Spanien oder flohen in die Sowjetunion. Mehrere führende Solinger Kommunisten wurden dort zu Opfern der stalinistischen Säuberungen.
An der friedlichen Übergabe der Stadt Solingen an die Amerikaner hatten einzelne Kommunisten im April 1945 großen Anteil. Am 8. Februar 1946 wurde der Kommunist Albert Müller von den Briten zum Oberbürgermeister von Solingen ernannt. In den Nachkriegsjahren konnte die KPD jedoch bis zum Verbot der Partei im Jahre 1956 nur noch zum Teil an ihre früheren Erfolge anknüpfen.
Armin Schulte / Daniela Tobias
Ausführliche Darstellung zum Download [pdf]
Adressbuch 1925:
– Max Levy, Buchhalter
Adressbuch 1931:
– Max Levy, Schriftsteller
– Max Adrion, Fabrikarbeiter
Adressbuch 1938:
– Max Levy, ohne Beruf
Quellen:
– Änne Wagner: „Gegen den Strom? Lebenserinnerungen 1904–1945“, Solingen 2000
– Stephan Stracke: Der Novemberpogrom 1938 in Solingen, Solingen 2018
– Horst Sassin: „unsere wundervolle revolutionäre Aufgabe“ – Max Leven, Musikliebhaber, Unabhängiger Sozialdemokrat und „fanatischer Kommunist“ in Die Heimat, Heft 35, 2019/20
– Volker Wünderich: Arbeiterbewegung und Selbstverwaltung. KPD und Kommunalpolitik in der Weimarer Republik. Mit dem Beispiel Solingen, Wuppertal 1980
– Armin Schulte: „Man soll mich nur nicht vergessen!“ Stolpersteine in Solingen. Schicksale 1933-1945, Solingen 2000: Schicksale von Heinrich Benz, Fritz Bergmann, Ernst Bertram, Georg Bethke, Edmund Boes, Ernst Buschmann, Hans Debus, Artur Deichmann, Theodor Deis, Wilhelm Franz, Adolf und Arnold Freireich, Paul de Groote, Willi Haas, Max Hammerstein, Emil Heyer, Artur Hönemann, Anna und Julius Kaupe, Arthur Kirschbaum, Tilde Klose, Walter Koch, Wilhelm Kratz, Emmy und Max Leven, Willi Mertgen, Felix Meschkuleit, Lina und Ernst Moll, Albert Müller, Willi Müller, Ewald Peininger, Wilhelm Reeks, Werner Reinhardt, Paul Schürmann, Alex Uesseler, Fritz Wege, Franz Wenders, Ernst Wittke