Da die Ausstellung „… und laut zu sagen: Nein.“ pandemiebedingt nicht wie geplant im Mai 2020 eröffnet werden konnte, wurden bis Mai 2021 jede Woche Teile daraus unter dem Hashtag #closedbutopen vorgestellt.
Am 5. Juli 1933 wurde am Stadtrand von Wuppertal, zwischen Öhde und Beyenburg, das Konzentrationslager Kemna in einer ehemaligen Putzwollfabrik errichtet. Es war zunächst für 300 Personen ausgelegt, aber im Herbst 1933 sollen in der Spitze bis zu 1.100 Häftlinge in den sechs völlig überfüllten Schlafsälen untergebracht worden sein. Die Kemna wurde das größte Lager für Schutzhafthäftlinge für den gesamten Regierungsbezirk.
Die Gefangenen kamen aus dem Bergischen Land, aus Düsseldorf und dem Ruhrgebiet. Mindestens 90 Solinger waren in der Kemna. Inhaftiert wurden Nazigegner jeder Couleur: Kommunisten, Sozialdemokraten, Zentrums-Anhänger, Polizei-Gewerkschafter, aber auch in Ungnade gefallene SA-Leute und Polizisten. Die 35-köpfige Wachmannschaft bestand überwiegend aus SA-Männern aus der Region. Lagerkommandant war ab Mitte Juli 1933 bis zu seiner Absetzung Anfang Dezember 1933 der Kaufmann und SA-Führer Alfred Hilgers.
Das KZ Kemna hatte zentrale Funktionen für die Zerstörung der Arbeiterbewegung: Neben der Internierung von Funktionären der KPD und SPD mit dem Ziel, sie aus ihren Lebenszusammenhängen zu reißen und sie der Willkür der SA auszusetzen, um sie einzuschüchtern und ihren Willen zum weiteren Widerstand zu brechen, wurde das KZ Kemna zum Verhör- und Folterzentrum der gesamten Region. Die Folterer aus SA und Gestapo demütigten und misshandelten ihre Opfer bestialisch, selbst den gesundheitlich ohnehin angeschlagenen Max Leven, der 1933 mehrere Monate dort festgehalten wurde. Unzählige Häftlinge erlitten in der Kemna schwerste Folterungen und Verletzungen. Manche wollten lieber sterben, als den SA-Folterknechten noch einmal ausgeliefert zu sein.
Eine besondere Foltermethode, die auch Heinrich Schroth erlitten und beschrieben hat, waren die „Kemna-Häppchen“. Dabei wurden die Opfer gezwungen, Salzheringe zu essen, die mit Stauferfett, Petroleum, Rübenkraut und Salz oder Kot beschmiert waren. An den erzwungenen Verzehr der Heringe schloss sich meist eine Durstfolter an. Eine andere Foltertechnik war es, Häftlinge mit Gewalt in viel zu kleine Fabrik-Kleiderspinde, die „Kemna-Särge“ zu pressen. Zwei Menschen starben an den Spätfolgen der erlittenen Misshandlungen.
Anfang Februar 1934 musste das KZ Kemna geschlossen werden. Das Gewaltregime war nicht mehr tragbar, die Staatsanwaltschaft hatte Ermittlungsverfahren gegen die Wachmannschaft wegen der Folterungen und Misshandlungen eingeleitet, die gleichwohl letztendlich nicht zu einer Anklageerhebung führten, sondern mit der Versetzung des Staatsanwaltes endeten. Ein Teil der Häftlinge war bereits vor Weihnachten durch die „Weihnachtsamnestie“ frei gekommen. Die anderen Häftlinge, wie der Solinger Paul Rux, mussten ihren Leidensweg in den Moorlagern im Emsland fortsetzen.
Ab Juni 1933 wurden über 100 politische „Schutzhäftlinge“ aus Solingen in die neu errichteten Emslandlager Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum gebracht, wo der Wille und der Widerstand der politischen Gegner des NS-Regimes durch harte körperliche Arbeit gebrochen werden sollte.
Bis 1936 wurden die dortigen Konzentrationslager aufgelöst und in Strafgefangenenlager der Reichsjustizverwaltung umgewandelt. Auch in diesen Strafgefangenenlagern waren zahlreiche politische Gefangene aus Solingen inhaftiert, vor allem solche, die vom OLG Hamm wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt worden waren, darunter der Solinger Künstler Ernst Walsken, den wir in einem späteren Beitrag vorstellen werden.
Das Lied der „Moorsoldaten“ war 1933 von Häftlingen des KZ Börgermoor geschrieben worden. An der ersten Aufführung des Liedes am 27. August 1933 waren vor allem Solinger Arbeitersänger beteiligt. Es wurde schnell international bekannt und in viele Sprachen übersetzt.
„Die sechzehn Sänger, vorwiegend Mitglieder des Solinger Arbeitergesangvereins, marschierten mit geschulterten Spaten in die Arena, ich selbst an der Spitze mit einem abgebrochenen Spatenstiel als Taktstock. Wir sangen, und bereits bei der zweiten Strophe begannen die fast 1000 Gefangenen den Refrain mitzusummen.“
Rudi Goguel, Komponist des Moorsoldatenlieds
Quellen:
– David Magnus Mintert: Das frühe Konzentrationslager Kemna und das sozialistische Milieu im Bergischen Land, Bochum 2007
– Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V.: gewerkschaftsprozesse.de
– Stadtarchiv Wuppertal: Fotos Kemna
– Armin Schulte: „Man soll mich nicht vergessen!“ Stolpersteine in Solingen, Schicksale 1933-1945, Solingen 2020, darin: Heinrich Schroth
– Sammlung AK Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager e.V., Papenburg: Liedblatt Moorsoldaten, Hanns Kralik
Die empirische und konzeptionelle Grundlagenarbeit zur Ausstellung durch Dr. Stephan Stracke wurde mit Mitteln der Landeszentrale für politische Bildung NRW gefördert.