Birkerstraße 4

Postkarte von Anfang des 20. Jahrhunderts, links: Birkerstraße 4, Mitte: Gewerkschaftshaus Kölner Straße, Quelle: Stadtarchiv Solingen, PK 1406 Aktuelle Aufnahme Birkerstraße 4, Juli 2020, Foto: Daniela Tobias

Links: Postkarte von Anfang des 20. Jahrhunderts, links: Birkerstraße 4, Mitte: Gewerkschaftshaus Kölner Straße, Quelle: Stadtarchiv Solingen, PK 1406
Rechts: aktuelle Aufnahme, Juli 2020, Foto: Daniela Tobias

Spar- und Bauverein Solingen (bis 1929)

Der am 11. Juli 1897 von Facharbeitern und Handwerkern gegründete Spar- und Bauverein Solingen (SBV) hatte sich zum Ziel gesetzt, die Wohnungsnot zu lindern, die infolge der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts entstanden war. Nachdem die → SPD 1910 auf dem Magdeburger Parteitag ihre ablehnende Haltung gegenüber Genossenschaften aufgegeben hatte, stieg die Mitgliederzahl rasch an.

Auch die → Bergische Arbeiterstimme warb für den Eintritt der organisierten Arbeiterschaft. Der Stadtverordnete Hugo Schaal wurde als erster Sozialdemokrat in den Aufsichtsrat gewählt. Seit 1912 wirkte Hermann Meyer (SPD) als hauptamtlicher Geschäftsführer maßgeblich an der Entwicklung des SBV mit. Nach dem Ersten Weltkrieg realisierte der SBV mit Unterstützung der Stadt Solingen mehrere Siedlungs-Projekte, die bis heute stadtbildprägend sind. Erstmals wurden dabei auch Gemeinschaftseinrichtungen gebaut und 1920 die „Bewohner-Selbstverwaltung“ eingeführt.

Im Mai 1921 wurde die „Bauhütte Solingen GmbH“ als kommunales Bauunternehmen gegründet. Zuvor hatten sich arbeitslose Bauarbeiter bereits an der Gründung genossenschaftlicher Baubetriebe versucht, die jedoch allein nicht lebensfähig waren. Der Spar- und Bauverein wurde zum Mehrheitsaktionär der Bauhütte, die bis zu 300 Beschäftigte zählte und am Bau aller großen Siedlungsprojekte beteiligt war.

Ausschnitt über den Siedlungsbau des Spar- und Bauvereins Solingen aus dem Film „Solingen – Eine historische Stadtrundfahrt“ von Peter Holtfreter und Herbert Schurig mit Filmmaterial aus den 1920er und 1930er Jahren aus dem Stadtarchiv Solingen, im Auftrag der Stadtsparkasse Solingen, 1990

Seit 1919 befand sich die Geschäftsstelle des SBV an der Birkerstr. 4. Der Platz reichte jedoch bald nicht mehr für die steigende Zahl der Angestellten aus und so beschloss man 1926 gemeinsam mit der → AOK einen repräsentativen Neubau an der benachbarten → Kölner Straße 47 neben dem → Gewerkschaftshaus zu errichten. Nach dem Auszug des SBV hatten weiterhin verschiedene Gewerkschaften ihren Sitz an der Birkerstr. 4, darunter der Deutsche Verkehrsbund (Gewerkschaft der Transportarbeiter), der Zentralverband der Angestellten und der Deutsche Bauarbeiter-Verband.


Sozialdemokratischer Verein

1929 war an der Birkerstr. 4 auch das Parteibüro der SPD gemeldet, die im Adressbuch unter „Sozialdemokratischer Verein“ firmierte. Die SPD war die älteste und erfolgreichste Arbeiterpartei im Solinger Industriebezirk und stellte seit 1877 fast ununterbrochen den Reichstagsabgeordneten für den Wahlkreis Solingen. Seit 1903 vertrat der Abgeordnete Philipp Scheidemann die Wähler des Wahlkreises in Berlin. Vor dem Ersten Weltkrieg war der sozialdemokratische Volksverein in Solingen der drittstärkste im Bezirk Niederrhein.

Während des Kriegs kam es innerhalb der SPD zu schweren innerparteilichen Auseinandersetzungen. Im Mittelpunkt standen die „Burgfriedenspolitik“ der Parteiführung (Zurückstellung der innenpolitischen Konflikte während des Krieges) und die mehrheitliche Zustimmung der Reichstagsfraktion der SPD zu den Kriegskrediten. Die Partei spaltete sich in die linksstehende „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD), die die Politik der Parteiführung und der Reichstagsfraktion ablehnte, und die sogenannte „Mehrheitssozialdemokratische Partei“ (MSPD). Die Parteibasis in Alt-Solingen, Wald, Höhscheid, Gräfrath und Ohligs schloss sich am 17. April 1917 mit übergroßer Mehrheit der USPD an.

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung und zur Verfassungsgebende Preußischen Landesversammlung im Januar 1919 stand die SPD zum letzten Mal in der Wählergunst knapp vor der USPD. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung erzielte sie 33 % der Stimmen gegenüber 29,5 % der USPD. Bereits bei der Kommunalwahl im November 1919 gewann die USPD über die Hälfte der Stimmen, die SPD kam nur noch auf knapp über 16 Prozent. Als Gegengewicht zu der inzwischen von der USPD dominierten → Bergischen Arbeiterstimme gaben die Sozialdemokraten seit dem 15. September 1919 unter der Leitung von Hugo Schaal das → Solinger Volksblatt heraus.

Nachdem sich 1920 eine deutliche Mehrheit der USPD der → KPD anschloss, kehrte nur eine Minderheit zur SPD zurück. Die KPD wurde in der Folge in allen Solinger Stadtteilen zur Massenpartei. Der SPD hingegen gelang es während der Weimarer Republik, über die Besetzung von kommunalen Spitzenposten (u.a. Hermann Merkel als Beigeordneter in Solingen) starken Einfluss auf die Politik der bis 1929 unabhängigen Gemeinden der Großstadt Solingen zu nehmen.

Während es nach 1924 in der Politik und bei den Gewerkschaften wieder vereinzelt zur Zusammenarbeit der beiden Arbeiterparteien kam, stellte Hermann Weber, KPD-Parteiführer und Chefredakteur der Bergischen Arbeiterstimme, seit 1929 den Kampf um die Vorherrschaft in den Gewerkschaften und gegen die SPD, die als „Sozialfaschisten“ diffamiert wurden, in den Mittelpunkt der politischen Aktivitäten der KPD. Innerhalb der Gewerkschaften und der Arbeitervereine kam es seit 1929 zu tiefen Spaltungen, wobei die SPD eine starke Position behaupten konnte. Ihr Stimmenanteil bei Wahlen hatte sich dagegen bei etwas mehr als 10 % der Stimmen eingependelt, die allerdings stabil blieben.

Hermann Meyer (1887-1943), Quelle: Spar- und Bauverein Solingen

Spitzenkandidat der SPD für die Kommunalwahl vom 17. November 1929 war der Solinger SPD-Führer, Landtagsabgeordnete und Geschäftsführer des SBV Hermann Meyer. Die SPD erzielte 15,2 %, die KPD als Wahlsieger 33,9 % und die Bürgerliche Wahlgemeinschaft 34,4 % der Stimmen. Aufgrund der tiefen Gräben zwischen den Parteien kam es im Vorfeld der anstehenden Wahl des ersten Oberbürgermeisters der neu geschaffenen Großstadt Solingen weder zu Wahlbündnissen zwischen KPD und SPD noch zwischen SPD und Bürgerlichen. Am 22. Januar und am 25. März 1930 wurde dann jedoch der Kommunist Hermann Weber gleich zweimal mit den Stimmen von KPD, SPD und KPO zum ersten kommunistischen Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt gewählt. Nach der ersten Wahl verweigerte Weber die Unterzeichnung einer ihm staatlicherseits vorgelegten Loyalitätserklärung und wurde von der Preußischen Regierung nicht bestätigt. Nach der zweiten Wahl setzte die Preußische Regierung an seiner Stelle den Sozialdemokraten Josef Brisch als Staatskommissar ein und schaltete damit die kommunale Selbstverwaltung aus. Bei der Wahl Webers hatte die SPD offensichtlich auf dessen Nichtbestätigung gesetzt, die KPD hingegen hatte wohl nie mit seiner Bestätigung gerechnet. Ihr war es in erster Linie um die Diskreditierung der SPD bestellt gewesen.

Ebenso wie es in der KPD bereits um 1928/1929 zu einer Abspaltung der Kommunistischen Partei-Opposition (KPO) kam, die für eine sozialistische Einheitsfront eintrat, spaltete sich 1931 von der SPD die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) ab. Die linksstehende SAP votierte ebenso wie die KPO für eine Einheitsfront aus den sozialistischen Parteien, den Gewerkschaften und den Massenorganisationen der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus. In Solingen gehörte ihr u.a. Heinrich Schroth an.

Nach der Wahl von Josef Brisch zum Oberbürgermeister verlor die Solinger Stadtverordnetenversammlung aufgrund der „Regierungsweise“ Brischs, der sich auf wechselnde Mehrheiten oder Geschäftsordnungstricks stützte, fast völlig an Bedeutung. Die SPD selbst, bei der der ehemalige Bürgermeister von Ohligs, Paul Sauerbrey, 1931 die Führung der Partei übernommen hatte, ging zunehmend auf Distanz zu ihrem Parteigenossen. 1932 kam es im Streit um die von Brisch betriebene Verstaatlichung der August-Dicke-Schule zum offenen Bruch. Im Oktober 1932 beschloss die SPD, Brisch aus der Partei auszuschließen, wozu es aber aufgrund der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten nicht mehr kam.

Am 10. März 1933 wurde Brisch auf Befehl des Solinger NSDAP-Kreisleileiters Dr. Helmut Otto verhaftet und nach Düsseldorf gebracht, wo der Regierungspräsident Karl Bergemann, selbst ein Sozialdemokrat, seine Amtsenthebung bestätigte und Otto sowie den Beigeordneten Wilhelm Seynsche kommissarisch mit der Wahrnehmung der Amtsgeschäfte betraute. Bei der Kommunalwahl vom 12. März 1933 konnte die SPD noch einmal 9 % der Wählerstimmen auf sich vereinen. Am 3. April 1933 wurde dann unter Ausschluss der kommunistischen Stadtverordneten und unter Stimmenthaltung der SPD und des Zentrums der Nationalsozialist Otto zum kommissarischen Oberbürgermeister gewählt.

Obwohl die SPD im Widerstand gegen die Nationalsozialisten deutlich vorsichtiger agierte als die KPD, zählten im „Dritten Reich“ auch viele Sozialdemokraten zu den Verfolgten und Opfern des NS-Staates. Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 16./17. April 1945 wurde der Sozialdemokrat Oskar Rieß von den Amerikanern zum Oberbürgermeister berufen. Im Juni 1945 setzte dann die englische Militärregierung Josef Brisch als kommissarischen Oberbürgermeister ein, dem am 8. Februar 1946 der Kommunist Albert Müller folgte. Die SPD selbst wurde neben der CDU zur prägenden Kraft in der politischen Gestaltung der Geschichte Solingens in der Bundesrepublik Deutschland.

Armin Schulte / Daniela Tobias

Adressbuch 1925:
– Spar- und Bauverein Solingen
Adressbuch 1927:
– Spar- und Bauverein Solingen
– Deutscher Verkehrsbund (Gewerkschaft der Transportarbeiter)
Adressbuch 1929:
– Deutscher Verkehrsbund (Gewerkschaft der Transportarbeiter)
– Zentralverband der Angestellten
– Deutscher Bauarbeiter-Verband
– Sozialdemokratischer Verein (SPD-Büro)
Adressbuch 1931:
– Zentralverband der Angestellten

Quellen:
– „Gemeinsam Bauen und Wohnen, 100 Jahre Solinger Wohnungsbaugenossenschaften“, Armin Schulte, Solingen 1997
– Ausstellung „… und laut zu sagen: Nein.“, Max-Leven-Zentrum Solingen e.V./Stephan Stracke, Solingen 2020

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